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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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bemerkenswert erscheint mir der Fall jener, die gegen ihren Willen zu Taten gezwungen wurden, die sie nicht gebilligt hätten. Der Emir, dem das Lupanar gehört, ist ein Connaisseur von jungen, hellhäutigen Männern, und so hat er schon einige Male laut den Auskünften meiner Gewährsleute britische Besucher seines Establishments mit Spirituosen abgefüllt, bis sie ganz willig oder bewußtlos waren und ihm zu Diensten lagen. Die Vermutung könnte naheliegen, er räche sich somit für die Erniedrigung, die unsere Herrschaft ihm auferlegt, aber nach meinem Dafürhalten giert er einfach nur nach der Schönheit blonder, unbehaarter Jünglinge. Es ist mir zugetragen worden, daß einer dieser Griffins am nächsten Morgen die Verwunderung geäußert habe, der einheimische Alkohol verursache eine Reizung des Postérieur. All das wäre ein wenig unappetitlich, aber gewiß harmlos für unsere Sicherheitslage, würde nicht einigen unserer Offiziere in diesem Lupanar das Wissen entlockt werden, das sie unbedingt für sich behalten sollten. Ich habemeinem Gewährsmann, der dieses Bordell regelmäßig aufsucht und mit dem Betreiber verwandt ist, das Versprechen gegeben, keine Namen zu nennen. Er schwört, daß schon mehrfach dem Emir wertvolle Informationen zugetragen worden sind, die einem Offizier in seinem Rausch oder seiner Entzückung oder in der Intimität danach entschlüpft sind. Und wenn wir uns vor Augen halten, daß dieser betreffende Emir, der Lupanar -Emir, mit Mirza Aziz verschwägert ist, können wir erkennen, wie das Netz geknüpft ist, das uns so viele Kopfschmerzen bereitet.
     
     
     
    63.
    NAUKARAM
     
    II Aum Mritunjayaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
    Der Lahiya schrieb: Dieser mein Text ist eine Kette von ausgesuchten Perlen, die ich um den Hals Ihrer gnädigen und aufmerksamen Wahrnehmung hängen möchte, lieber Leser; diese meine Geschichte ist eine duftende Blüte, die ich in die Hand Ihrer warmherzigen und mitfühlenden Empfindung geben möchte, lieber Leser; dieses mein Werk ist ein Stoff aus feiner Seide, den ich über das Haupt Ihrer scharfsichtigen und weitreichenden Weisheit ausbreiten möchte, lieber Leser.
    Worauf er die Feder zur Seite legte und den gesamten Text durchlas, einmal, und dann ein weiteres Mal, die Nacht wurde grau dabei, und er war gerührt von der Unantastbarkeit des Geschriebenen, er war den Tränen nahe. Nicht, daß es ohne Schwäche, ohne Fehler war. Wenn er noch einmal von vorne anfangen könnte, er würde … Ha, unsinnige Überlegung. Entscheidend war, das Werk überragte ihn, mächtig und fremd, als sei es nicht aus ihm heraus entstanden, als habe er nicht alles gelenkt, und ihm fiel der Satz ein, den der unbekannte Architekt des Kailash-Tempels zu Ellora seinem Bauwerkeingeschrieben hat, der größte Satz, den je ein Schöpfer hinterlassen hat: Wie habe ich das nur geschafft?
    Eines blieb noch zu tun. Der Schluß, selbst wenn es sich nur um einen letzten Absatz handelte, sollte nicht von ihm selbst geschrieben werden. Kein Mensch sollte die ganze Geschichte kennen. So wie keiner den gesamten Kailash-Tempel überschauen konnte. Der Lahiya rief seine Frau – er vernahm seit kurzem die Geräusche ihrer frühmorgendlichen Hausarbeit – und trug seine Bitte vor. Sie war erstaunt, und für einige widerspenstige Augenblicke überlegte sie, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Doch dann stimmte sie zu. Sie hoffte, sobald dieser Auftrag abgeschlossen war, würde ihr gemeinsames Leben weitergehen wie zuvor, bevor dieser Naukaram aufgetaucht war und ihrem Ehemann den Kopf verdreht hatte. Er dankte ihr umständlich, richtete sich mühsam auf und ging hinaus. Er würde an diesem Tag nicht zur Straße der Lahiya gehen, er würde nichts schreiben. Vielleicht auch am morgigen Tag nicht. Und danach, wer wußte das schon. Burton Saheb – eine unverankerte Erinnerung durchtrieb seine Gedanken – habe laut Naukaram einmal sein Erstaunen darüber geäußert, daß im Hindustani ein und dasselbe Wort sowohl morgen als auch gestern bezeichne. Was konnte man schon daraus folgern? War das Wort für vorgestern nicht ein anderes als das Wort für übermorgen?
    Naukaram wunderte sich über die Verspätung des Lahiya. Das war noch nie vorgekommen. Er sah eine Frau die staubige Straße entlanggehen. Alles an ihr strahlte Stärke aus. Einige der anderen Schreiber grüßten sie. Sie betrachtete ihn prüfend, bevor sie ihn fragte, wer er denn sei. Sie stellte sich als die

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