Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
trainierte täglich in einem der seriöseren Fitnessstudios von L.A., in denen man tüchtig schwitzen muss und nicht einfach nur arbeitslose Schauspielerinnen aufreißt.
Hardy war in Gesellschaft eines Mannes mit beginnender Glatze und blauen Brillengläsern, der so breit wie er selbst groß war. Dieser trug einen augenscheinlich teuren italienischen Anzug, der aussah, als ob er eher wegen des Preisschilds als wegen des Stils erstanden worden war, und seine Schuhe waren aus der Haut eines Tiers gefertigt, das Greenpeace vermutlich vor dem Aussterben bewahren wollte. Er strahlte mich an und schüttelte mir begeistert die Hand, als Hardy uns einander vorstellte. Er hieß Archie Hemmings, und nach allem, was mir Hardy vorher erzählt hatte, vertrat er einige Prominente.
»Du bist der erste Vampirjäger, der mir je begegnet ist, Jamie. Das freut mich ungemein!« Ich bedachte Hardy mit einem gequälten Blick und der zuckte mit den Achseln. »Ich weiß von Pete, dass du gerade an einem Fall arbeitest«, fuhr Archie unerschrocken fort. »Wo hast du denn den Pflock und das Weihwasser?« Er boxte mich auf die Schulter und ich erwog eine Anzeige auf Schmerzensgeld für ein HWS-Schleudertrauma.
»Ich mach doch nur Spaß, Jamie. Willst du einen Drink?«
»Etwas früh für mich«, sagte ich.
Wir gingen gemeinsam in Archies Vorführraum, der so groß wie ein kleines Kino war, aber nur zwei Dutzend Plätze hatte, jeder davon so groß wie ein Sitz in der ersten Klasse eines 747er-Jets, komplett mit Fußstützen und Getränkehalter und gepolstert mit dem Fell einer weiteren vom Aussterben bedrohten Art. Die Sessel standen vor einer Leinwand und aus einem kleinen Loch hinter uns kamen Geräusche vom Projektor. Archie wartete, bis Hardy und ich Platz genommen hatten, bevor er die Lichter löschte. »Hast du was dagegen, wenn ich mir den auch ansehe, Pete?«, fragte er.
»Natürlich nicht, Archie. Fühl dich ganz wie zu Hause.«
Archie lachte. »Schön. Dann fühl ich mich mal ganz wie zu Hause. Ihr seid mir welche!« Er zog eine dicke Zigarre aus der Innentasche seines Jacketts, biss die Kuppe ab und spuckte sie in einen Papierkorb neben seinem Platz. Sein Feuerzeug flammte auf und wenige Sekunden später war die Luft von süßlichem Rauch erfüllt. Die Leinwand flimmerte und der Vorspann erschien.
Zeit des Flieders.
Es war ein Schwarz-Weiß-Film und die Tonqualität war unterirdisch – die Hälfte der Zeit konnte ich nicht verstehen, was gesagt wurde. Die Story war ganz schlicht: Ein Landarzt, gespielt von Greig Turner, wurde eines Mordes bezichtigt, den er nicht begangen hatte, und die einzige Zeugin war ein kleines Mädchen, das über das Erlebte so erschrocken war, dass sie sich in sich selbst zurückzog. Der Arzt wurde erst durch eine Lehrerin gerettet, die das Kind dazu brachte, sich nach einer nervenzerreißenden Gerichtssaalszene zu öffnen. Ganz schön packend, zugegeben, obwohl die schlechte Tonqualität schon irritierte. Turner hatte zweifellos Charisma. Die Kamera liebte ihn. Auch das Mädchen, das die Lehrerin spielte, hatte was, das ich nicht definieren konnte. Erst nach der Hälfte des Films kam mir plötzlich die Erleuchtung: Sie war Terry wie aus dem Gesicht geschnitten. Der gleiche Mund, die gleichen dunklen Augen und langen Wimpern, auch der Körper sah ähnlich aus. Doch dieses Mädchen war blond. Ich beobachtete sie im weiteren Verlauf des Films aufmerksam, und als der seinem Ende entgegen flimmerte und der Arzt die Lehrerin umarmte, die Geschworenen jubelnd aufstanden und der Richter mit dem Hammer schlug, war ich mir ziemlich sicher, dass sie mit Terry verwandt sein musste.
Als der Film zu Ende war, stand ich auf, trat näher an die Leinwand und sah mir den Abspann ganz genau an. Das Mädchen, das die Lehrerin spielte, hieß Lisa Sinopoli. Ich notierte mir den Namen auf einen Zettel.
»Was ist denn?«, fragte Hardy.
»Das Mädel kommt mir bekannt vor. Lisa Sinopoli. Hast du mal was von ihr gehört?«
Er schüttelte den Kopf. »Klingt italienisch«, sagte er.
»Danke, Peter. Das bringt mich ja einen Riesenschritt weiter! Was ist mit Greig Turner? Hast du was über ihn ausgegraben?«
Archie hievte sich aus seinem Sessel und knipste das Licht an.
»In den Vierzigerjahren war er ein kleinerer Star. Er hat vier, fünf Filme gemacht, dann ist er einfach verschwunden«, sagte Hardy.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Hardy zuckte mit den Achseln und verzog das Gesicht zum Zeichen, dass er es nicht
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