Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
sagte Sugar, immer noch mit dem Rücken zu mir. »Sie hat Sie angebaggert?«
Darüber musste ich nachdenken. Sie war spät abends zu mir nach Hause gekommen, hatte mich mitgeschleift und ja, am Schluss des Abends hatte sie mich verführt. Alles war von ihr ausgegangen. Das hatte ich zu der Zeit gar nicht bemerkt, es hatte sich so gut angefühlt, aber ich hatte gar nichts tun müssen. »Ja. Das könnte man so sagen.«
Sugar drehte sich um und lächelte. »Und warum hat sie das Ihrer Meinung nach getan?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich und fühlte mich in die Defen sive gedrängt.
»Warum glauben Sie, dass ein hübsches Mädchen in dem Alter – dem scheinbaren Alter – sich mit einem so viel älteren Mann einlassen wollte?«
»Ich bin erst fünfunddreißig«, sagte ich. Ich merkte, wie schwach sich das anhörte.
»Sie sehen älter aus«, bemerkte Hooper mitleidlos.
»Danke. Aber es geht hier nur um einen Altersunterschied von zehn Jahren oder so. Das ist nichts Besonderes.«
»Das Mädchen ist schön«, sagte Sugar. »Und sehr reich, wie Sie sagen. Sie könnte jeden Mann haben, den sie will. Warum also ausgerechnet Sie?«
»Vielleicht wollte sie
mich
«, sagte ich.
Hooper prustete los und hielt sich den Mund zu. Ich funkelte ihn böse an, aber die beiden brachten mich ins Grübeln.
»Hat Sie sich nach Ihrer Arbeit erkundigt?«, fragte Sugar und setzte sich wieder.
»Natürlich.«
»Hat sie nach Vampiren und ähnlichen Dingen gefragt?«, hakte er nach.
»Nie.«
»Sie wollte nie wissen, wo man sie festhält?«, fragte er.
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Könnte Sie eventuell gehofft haben, dass Sie ihr sagen, wo ihre Artgenossen sind? Die, von denen wir wissen?«
»Aber ich weiß doch nicht, wo man sie festhält. Bevor ich Sie beide getroffen habe, hatte ich gar keine Ahnung, dass sie überhaupt existieren.«
»Ja, aber das konnte sie nicht wissen«, sagte Hooper.
»Meinen Sie, ich bin in eine Falle getappt?«, fragte ich.
»Hört sich ganz danach an«, sagte Hooper.
Sugar trommelte mit den Fingern leise auf den Schreibtisch. Es war keine Melodie, kein Rhythmus, nur ein beliebiges Geklopfe. »Dr. Beaverbrook, es ist wichtig, dass Sie etwas begreifen. Sie dürfen sich nicht gestatten, zu viel für sie zu empfinden.« Er sprach leise, mit vorgeschobenem Kopf, um denAbstand zwischen uns zu überbrücken, als ob er mich ins Vertrauen ziehen wollte. »Diese Leute, diese Mutanten, sind anders als wir – sie gehen keine emotionalen Bindungen ein. Sie sind Einzelgänger, vollkommene und absolute Einzelgänger. Sie lassen sich nur auf andere ein, wenn sie etwas brauchen – Blut zum Beispiel. Oder Informationen. Das hört sich jetzt vielleicht banal an, aber sie verlieben sich nicht. Sie dürfen sich nicht einbilden, dass sie … wie soll ich sagen … dass sie auch etwas für Sie empfinden kann. Hören Sie, was ich sage?«
»Ja«, sagte ich, aber ich spürte, dass er log. Ich wusste, wie tief ihre Gefühle waren. Und ich wusste, dass ich sie von ganzem Herzen liebte. Mit ganzer Seele. Sugar sah mich durchdringend an, als wollte er meine Gedanken lesen, und ganz kurz war mir, als würde er in meinen Synapsen wühlen wie ein Einbrecher in einem Kleiderschrank. Und als wären die Wertsachen, nach denen er suchte, meine wahren Gefühle.
»Sie haben nicht einmal Beziehungen untereinander«, fuhr Sugar fort. »Sie treffen sich ab und zu, helfen einander, aber im Allgemeinen bleiben sie auf Distanz.«
»Zur Sicherheit?«, fragte ich. »Damit sie sich nicht verraten können?«
»Nein. Weil es ihnen so lieber ist. Sie können nicht aus ihrer Haut heraus. Wie steht es mit ihren Kenntnissen in Biochemie, Dr. Beaverbrook?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Etwas eingerostet.«
»Schon mal was von dem Hormon Oxytocin gehört?«
»Sicher«, antwortete ich.
»Sie nennen es das Glückshormon«, fuhr Sugar fort. »Es ist ein Peptid, das die Hypophyse am Hirnstamm ausschüttet.«
Etwas tauchte in meinem Hinterkopf wieder auf, eine Publikation, die ich vor etwa einem Jahr gelesen hatte. »Bei der Geburt löst es doch die Wehentätigkeit aus? Die Kontraktionen der Gebärmutter?«, fragte ich.
Sugar schien beeindruckt. »Und es regt die Milchproduktion an«, ergänzte er. »Seit Langem weiß man, dass es Muskeln kontrahiert. Aber jüngste Forschungen haben erbracht, dass es viel mehr als das bewirkt. Forscher an der Rockefeller University in New York verabreichten weiblichen Mäusen Oxytocin und stellten fast,
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