Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
fuhr Sugar fort, anscheinend völlig unbeeindruckt von dem Lärm da draußen. »Menschen werden geboren, bekommen Kinder und sterben. Das Alte macht dem Neuen Platz. So hat sich die Menschheit seit Jahrtausenden auf der Erde fortgepflanzt. Wenn wir nicht sterben würden, gäbe es nicht genug Platz für alle. Aber wenn der Körper nicht stirbt und die Zellen sich endlos reproduzieren, besteht auch keine Notwendigkeit zur Fortpflanzung. Man braucht keinen Ersatz für das Original. Und ohne diese Notwendigkeit zur Fortpflanzung sehnt man sich nicht nach dem Geschlechtsakt.«
Ein Akt, dachte ich. War es denn nur ein Akt?
»Da ist noch was, das Sie wissen müssen«, sagte Hooper. »Wir haben sie in Gewahrsam genommen. Heute Morgen, nicht lange, nachdem Sie sie verlassen haben.«
Er starrte mich an und versuchte meine Reaktion abzuschätzen. Ich versuchte meinerseits, meine Verwirrung zu verbergen.
»Was haben Sie denn gedacht? Dass wir sie nicht observieren?«
»Darf ich sie sehen?«, fragte ich. Das Rumoren war jetzt noch lauter. Hooper sah zum strahlend blauen Himmel empor. Er schirmte die Augen mit beiden Händen vor der Sonne ab.
»Jetzt eventuell zum letzten Mal«, sagte Hooper, ohne sich umzudrehen. Sugar stand auf und winkte mich ans Fenster. Hooper stand zwischen uns. Er beobachtete einen weißen Hubschrauber, der über unserem Gebäude schwebte, dessenHeck im Flug von rechts nach links kippte und dessen Rotor zu einem Kreis verschwamm. Unten war der Parkplatz geräumt und mit dickem gelbem Plastikband mit der Aufschrift »Polizeiabsperrung!« abgeriegelt. Um das Sperrgebiet herum standen bewaffnete Polizisten, und auf den Gebäuden ringsum hatten SWAT-Einheiten Posten bezogen, die Gewehre auf den Parkplatz gerichtet. Wer am Polizeigebäude vorbeifuhr, hielt an und kurbelte das Fenster herunter, um besser zu sehen, und Fußgänger verrenkten sich die Hälse. Der Hubschrauber schwebte, und dann senkte er sich langsam hinab, bis die Kufen am Boden aufsetzten. Der Pilot ließ die Propeller weiter rotieren. Die Tür glitt auf und zwei Männer in Anzügen und mit dunklen Brillen stiegen aus.
Ein Ruck ging durch die Polizisten rund um den Parkplatz. Sie erhoben die Waffen beinahe wie ein Mann, scheinbar gegen uns, aber ich bemerkte, dass sie irgendwem Deckung gaben, der gerade unter uns das Gebäude verließ. Wenig später sahen wir eine Personengruppe von hinten, aber immerhin erkannte ich, dass es Terry war, umringt von einem halben Dutzend Wachen. Sie trug einen weißen Papieroverall und außerdem hatte man sie in eine Art Zwangsjacke gesteckt und ihr die Beine gefesselt.
Als die Schar den Hubschrauber erreichte, hielten zwei der Wächter Terrys Schultern und drehten sie herum, und zum ersten Mal sah ich ihr Gesicht. Das Haar trug sie offen und das Kinn war trotzig nach oben gereckt. Ein anderer Mann trat mit einer schwarzen Tüte auf sie zu und machte Anstalten, ihr diese über den Kopf zu stülpen. Sie wich aus, und einen kurzen wilden Moment dachte ich, sie hätte mich gesehen. Vielleichtja, aber ich weiß es nicht. Jedenfalls blieb sie stehen, und dann stülpten sie ihr die Tüte über, als wollten sie sie lynchen, und verfrachteten sie in den Hubschrauber. Drei der Wachen drängten hinter ihr hinein, gefolgt von den beiden Männern in Anzügen. Dann nahm der Motorenlärm zu, und der Hubschrauber hob ab und kreiste einmal um den Parkplatz, blies Hüte weg und wirbelte Abfälle auf, bevor er in Richtung Osten davonflog. Autofahrer und Fußgänger standen verwirrt da, unsicher, ob sie die Realität miterlebten oder ob ein Film gedreht wurde. Ich sah einen der Autofahrer, einen großen, hageren Mann mit schwarzem Stetson, auf das Dach seines roten Kleinlasters schlagen und auf den Fahrersitz zurückklettern, und allmählich merkten die Schaulustigen, dass der Spaß vorbei war, und zerstreuten sich.
»Wo bringen Sie sie hin?«, fragte ich. Hooper blieb am Fenster, als ich wieder zu meinem Platz zurückkehrte. Ich stellte mich hinter den Stuhl, meine Hände umklammerten die Rückenlehne, während sich Sugar an den Schreibtisch setzte und zu mir hochsah.
»Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen«, sagte Sugar leise. »Und wir können es Ihnen sowieso nicht sagen. Es gilt das absolute Need-to-know-Prinzip! Und Sie kommen nicht mal in die Nähe eines Kenntnisbedarfs. Allerhöchste Geheimhaltungsstufe.«
»Wieso denn?«
»Weil wir sehr lange gebraucht haben, um sie aufzuspüren. Wir wollen nicht riskieren,
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