Der Wettermacher
über sein Pferd vorbeugte. Wie Duzella vorhin tastete auch er durch die leere Luft. Dann berührte er etwas Unsichtbares. Blaues Feuer umspielte seine Hand.
Er schrie auf und versuchte sich loszureißen, aber das unsichtbare Hindernis war klebrig, wie die Fäden eines Spinnennetzes. Lirry kam nicht frei. Das blaue Feuer umspielte seinen Körper und griff auf das Pferd über, das in Panik wieherte.
Lella sprang vom Pferd. Sie warf ihre Axt, die mitten im Flug aufglühte und verschwand. Ein Strahl blauen Feuers zuckte herab und umschlang die Lorvanerin. Sie wand sich schreiend, doch auch sie kam nicht los. Nottr sprang vom Pferd, um ihr zu Hilfe zu kommen.
»Nein!« rief Dilvoog. »Geht zurück! Ihr könnt nichts tun! Es ist wie ich! Es ist…«
»Finsternis?«
»Ja. Aber in Fesseln. Es ist eine schreckliche Magie, die die Finsternis so vollkommen beherrscht… ich kann sie nicht brechen…« Seine Stimme wurde schrill. »Ich werde vergehen… aufhören zu sein…!«
Seelenwind zuckte in Nottrs Faust, die den Griff umklammert hielt. Er zog die Klinge, und sie heulte auf und schnellte der unsichtbaren Wand entgegen. Blaues Feuer sprühte in gleißenden Funken, und glühende Risse breiteten sich ringsum aus. Seelenwind hieb erneut und schnitt tief. Horcans Magie war nicht minder mächtig. Die unsichtbare Wand erzitterte. Blaue Flämmchen spielten nun fast über die ganze Fläche und erfüllten das Gewölbe mit grellem Licht. Als ob es eine Kraft wäre, die ihren Hunger stillen könnte, fraßen die Seelen in Nottrs Schwert sich tief hinein. Und die Wand wurde schwächer. In das Heulen der Klinge mischte sich ein anderer Laut:
Ferne Schreie, dünn und schrill.
Menschliche Schreie!
Plötzlich gab die Wand Lella und Lirry frei. Auch das Pferd kam mit panischem Wiehern los.
Dann folgten andere, schattenhafte Gestalten, die wie Geister aus dem blauen Feuer heraussprangen, schreiend und fluchend und zu Göttern betend.
Hunderte.
Wie die Gischt eines Wasserfalls kamen sie aus der Höhe herab. Gefangene aus vielen Jahren – Neugierige, Flüchtige, Glücksritter, Krieger und Magier, Schurken und Helden, Männer und Frauen. Sie waren nun frei, und der Strom der Zeit riß sie mit sich ins große Verlöschen, aus dem alles neue Leben kommt.
Als die Kaskaden versiegten, erlosch auch das blaue Feuer, und Seelenwinds Heulen verklang. Es zitterte in Nottrs Hand vor Genugtuung, und das Gefühl überschwemmte auch seinen Träger.
Es währte einen Augenblick, bis die Gefährten ihre Atemlosigkeit überwanden.
»Wer waren sie?« flüsterte Lella.
»Gefangene, wie wir es fast geworden wären«, sagte Thonensen.
»Zu ewigem Leben und ewiger Gefangenschaft verdammt«, sagte Lirry schaudernd.
»Wie in Oannons Tempel«, murmelte Nottr. Er schüttelte sich bei dieser Erinnerung. Dann sagte er: »Dilvoog?«
»Ja, ich bin hier«, erwiderte O’Boleys Stimme. Sie zitterte. »Ich denke, ich weiß nun, was Furcht und Tod bedeuten. Mir war danach, zu Göttern zu beten, obwohl es keine für meinesgleichen gibt. Aber es ist nicht das einzige Hindernis auf unserem Weg. Es gibt noch solche, die für Eindringlinge gedacht sind, die stärker als das Leben sind. Ich spüre sie… schwach. Aber sie kommen näher.«
»Dann laßt uns umkehren«, drängte Thonensen. »Wir mögen ein wenig von Magie verstehen und Verbündete haben, die uns ihre Macht leihen, aber wir sind nur Lebende.«
»Er hat recht.« Es war zum erstenmal, daß Mon’Kavaer sprach. »Auf den Schiffen der Sasgen finden wir einen einfacheren Weg zu Gorgans Auge.«
»Es ist zu spät!« rief Lella und starrte mit weiten Augen in die Düsternis des Gewölbes.
Weißliche, geisterhafte Gestalten kamen aus der Tiefe, Gestalten von solch gewaltiger Größe, daß sie mit ihren Schädeln fast die Decke des Gewölbes berührten.
»Es sind Tauren!« entfuhr es Nottr:
»Sie sind nicht wirklich«, stellte Thonensen fest.
»Sie sind Geister!« rief Lella. »Calutt würde es wissen!«
Die Pferde bäumten sich wiehernd auf.
»Es ist zu spät zu fliehen!« rief Nottr. »Bevor wir den halben Weg zum Ausgang geschafft haben, haben sie uns eingeholt!«
So warteten sie, und es gab keinen unter ihnen, außer vielleicht Dilvoog, der nicht Furcht und Schauder empfand beim Anblick dieser gespenstischen Riesen.
Vier waren sie, bleich und durchscheinend. Die schmalen langen Gesichter blickten mitleidlos. Mit wenigen Schritten hatten sie die Menschen erreicht und starrten auf sie hinab.
Sie
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