Der Wettermacher
voll Machthunger und voll Triumph. Sie besaß all diese menschlichen Züge und war doch nicht menschlich.
ICH BIN DAS SCHIFF!
ICH BIN GEKOMMEN, MEINEN TRIBUT ZU HOLEN UNTER DEN LEBENDEN!
5.
Dilvoog blickte fasziniert auf dieses gewaltige fliegende Schiff. Der riesige bauchige Fisch war wohl der eigentliche Flugkörper. Solch ein Schiff zu besitzen, würde alle ihre Probleme lösen. Sie könnten jeden beliebigen Punkt der Welt ansteuern und Hilfe bringen gegen die Finsternis.
Aber von diesem Schiff strömte Finsternis aus, die Kraft, die er kannte, die Kraft, aus der er geboren war.
Im Gegensatz zu den Menschen ringsum lähmte sie ihn nicht. Sie erfüllte ihn nicht mit Grauen, nicht mit Kälte. Für ihn war es eine Kraft, derer sich jemand bediente, wie ein Schwert, das einer führt.
Undeutlich sah er Gesichter an der Reling des Schiffes. Es waren menschliche Gesichter. Von der Reling, den Bordwänden und aus Luken im Bauch des Schiffes starrten sie herab. Und plötzlich, wie auf ein Kommando, fielen Taue herab und Fangnetze. Sie fielen auf die Boote und auf die dichten Reihen der Sasgen. Gestalten stürzten in halsbrecherischer Weise an Seilen herab, schlossen die Netze um die gelähmt stehenden Menschen und wurden mit ihnen hochgezogen.
Neben Dilvoog fiel eines der Netze auf Dorema. Dilvoog griff zum Dolch, um es zu zerschneiden, doch die Amazone schüttelte mühsam den Kopf. »Ich… will… es…«, sagte sie unter großer Anstrengung. »Wir… werden… heimkehren.«
Ein zweites Netz fiel, traf Nottr. Seelenwind begann zu heulen. Es war ein gespenstischer Anblick, als die Klinge sich zu bewegen begann und durch die Maschen hieb, während Nottrs Körper reglos stand.
Weitere Netze fielen, einige ins Wasser, eines neben Verica. Ihre Hände zuckten. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, um die Lähmung zu überwinden.
Gestalten vom Schiff schwangen herab auf das Boot der Lorvaner. Sie waren Amazonen, und Dorema und Verica lächelten ihnen entgegen, ließen sich einhüllen und wurden hochgehievt in den nächtlichen Himmel.
Aber Dilvoog hatte genug gesehen, um zu erkennen, daß es für die beiden Kriegerinnen keine Heimkehr sein würde. Die Amazonen des Schiffes waren keine Kriegerinnen mehr. Ihre Gesichter waren starr, ihre Augen leer gewesen – wie es bei Menschen ist, die besessen sind, deren Geist tot ist. Er hatte in seinen frühen Tagen genug menschliche Geister ausgeleert, um hohle Hüllen zu erkennen.
Er griff nach einem der Taue und schwang sich hoch. Er mußte wissen, wer dieses Schiff beherrschte, und es gab nur einen Weg, es herauszufinden.
Alle Taue und Netze wurden nun eingeholt. Die Stimme erklang wieder lautlos im Kopf.
ICH BIN DAS EINHORN!
ICH BIN DAS SCHIFF!
MIR ZOLLT DAS LEBEN TRIBUT! KÜNDET VON MEINER MACHT!
Dilvoog erreichte die Reling. Ein Krieger mit einem wie aus Stein gewachsenem Helm wollte nach ihm greifen, um ihn an Bord zu ziehen, fuhr jedoch bei der Berührung zurück. Sein Gesicht war starr und ohne Regung, doch in seinen Augen war noch ein Funke von Wachheit.
Dilvoog stand auf den Decksplanken. Tauwerk und Strickleitern strebten hoch zu dem fischförmigen Flugkörper wie die Takelage eines Segelschiffs. Große Ballen und Körbe hingen im Takelwerk. Sie mochten Vorräte enthalten, doch Dilvoog bezweifelte, daß die, die sich an Bord befanden, Vorräte brauchten. Wenigstens drei Dutzend sah er an Deck stehen. Mehr als die Hälfte waren Amazonen, die übrigen Krieger aus fremden Ländern, mit Rüstzeug, wie er es noch nie gesehen hatte. Selbst das Wappen der Alptraumritter entdeckte er. Auch sie hatten dem Beherrscher dieses Schiffes nicht zu widerstehen vermocht, obwohl sie viele Waffen gegen die Finsternis besaßen.
Alle hatten starre, leblose Gesichter, die ihn an die dämonisierten Menschen erinnerten, die er in Ugalien und Thainnia gesehen hatte. Ihre Augen waren leer, nur in einigen der Krieger glaubte er noch einen Funken von Bewußtsein zu erkennen.
Aber sie waren nicht besessen. Sie waren nicht dämonisiert.
Sie waren ausgehöhlte, ausgeleerte Körper; Hüllen, derer man sich bedient hatte.
Das alles erinnerte ihn an sein ursprüngliches Wüten unter den Lebenden, als er erfüllt war von einer ungeheuren Gier nach Leben, nach Gedanken, Erinnerungen, Wissen.
Damals hatte er das Leben benutzt und vergeudet.
Nun liebte er es, und nichts erschien ihm wertvoller. Nichts erschien ihm erstrebenswerter, als ein eigener Körper, den er mit eigenen Gedanken
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