Der Wettlauf zum Suedpol
ihm Haltung annahmen. In seinen Tagebüchern finden sich Aufzeichnungen zu Hunderten dieser »Jungs«, die er schon lange vor seinem Amtsantritt als Präsident der RGS 1893 auf Tauglichkeit für sein großes Projekt abklopfte: eine britische Antarktisexpedition unter Federführung der Royal Navy. Doch sowohl das Schatzamt als auch die Admiralität gaben sich zunächst zugeknöpft. In einer Zeit zunehmender internationaler Konflikte konnte man etwaige Nebenkriegsschauplätze an den Polen nicht gebrauchen. Also verlegte sich auch Sir Clements darauf, private Geldgeber für seine Expedition zu finden – mit äußerst geringem Erfolg. Ende 1898 hatte er von den kalkulierten
50 000 Pfund erst 12 000 beisammen. Umso mehr erzürnte es ihn, dass es einem Privatmann, einem Außenseiter und Ausländer, scheinbar mühelos gelungen war, das notwendige Geld zu erhalten, und dass dieser zu allem Überfluss dann auch noch als Leiter einer offiziellen britischen Antarktisexpedition in See stach. Aber alles, was er einstweilen tun konnte, war, dass die RGS Borchgrevink nach Kräften ignorierte.
In der Tat war diese Expedition, die offiziell unter dem Union Jack segelte, ein fast rein norwegisches Unternehmen. Als Konzession an seinen Geldgeber Newnes hatte Borchgrevink lediglich drei britische Wissenschaftler mit an Bord der Southern Cross genommen. Im Februar 1899, als die Männer der Belgica noch gegen das Packeis in der Bellingshausen-See kämpften, traf die Southern Cross vor Kap Adare ein, wo Borchgrevink vier Jahre zuvor als Erster seinen Fuß auf antarktischen Boden gesetzt hatte. Auch der Norweger plante, in der Antarktis zu überwintern. Doch er war klug genug, nicht seiner ganzen Mannschaft diese Tortur zuzumuten. Nachdem die Southern Cross ihre Ladung gelöscht und die Männer ein »Camp Ridley« genanntes Lager mit Wohn- und Lagerschuppen von jeweils knapp fünf Metern im Quadrat sowie ein Beobachtungszelt errichtet hatten, wurde das Schiff für die Dauer des antarktischen Winters nach Neuseeland verabschiedet.
Diese Expedition war sicherlich gründlicher vorbereitet und besser ausgestattet als die de Gerlaches; die zehn Männer an Land wussten, welche Belastungen sie erwarten würden. Dennoch wurde ihr körperliches und geistiges Durchhaltevermögen auf eine harte Probe gestellt. Auch sie hatten mit der anhaltenden Langeweile und zunehmenden Depressionen während der langen Polarnacht zu kämpfen. »Die Dunkelheit und die Stille lasten schwer auf dem Gemüt. Die Stille dröhnt in den Ohren; es sind Jahrhunderte von aufeinandergehäufter Einsamkeit«, notierte Borchgrevink im Juni 1899 niedergeschlagen in sein Tagebuch. Auch diese Expedition hatte mit Vitaminmangel und daraus resultierenden Krankheiten wie Skorbut zu kämpfen. Ein Forscher, der norwegische Zoologe Nicolai Hansen, erlag im Oktober 1899 den Strapazen und wurde als erster Mensch in der Antarktis beerdigt. Sein Grab musste mit Dynamit in den tiefgefrorenen Boden gesprengt werden.
Das Winterquartier der Gruppe lag gut geschützt vor allen Witterungsunbilden am Fuße einer Bergkette. Das allerdings verhinderte auch weitergehende
Erkundungen im Landesinneren. So blieb der wissenschaftliche Ertrag der Reise zunächst beschränkt. Einer spontanen Eingebung folgend, segelte Borchgrevink jedoch nach der Rückkehr der Southern Cross Ende Januar 1900 nach Süden bis zur Großen Eisbarriere und folgte dann auf Ross’ Spuren dem Eisriegel »in ehrerbietigem Abstand« in östlicher Richtung. Am 16. Februar tat sich dann bei ungefähr 164 Grad westlicher Länge plötzlich ein Riss in der Mauer auf. Das Schiff wurde vorsichtig in die kleine Bucht hineinbugsiert und verankert. Wie sich zeigte, fiel das Eis an dieser Stelle ziemlich sanft zum Meer hin ab. Borchgrevink konnte gemeinsam mit zwei Gefährten zur Ebene emporsteigen und auf einem Hundeschlitten gut 20 Kilometer in Richtung Südpol fahren, ehe er umdrehte und zum Schiff zurückkehrte. Es war der südlichste Punkt, den bis dahin ein Mensch erreicht hatte. Damit hatte der Norweger den Weg für alle weiteren Forschungsreisen in die Antarktis bereitet: Als Erster hatte er auf dem antarktischen Festland überwintert, als Erster die große Barriere erklommen und sich auf den Weg zum Pol gemacht. Der Startschuss für den Wettlauf zum südlichsten Punkt der Erde war damit endgültig gefallen.
Abb 23
Zum Abschluss seiner Antarktisexpedition wagte sich Borchgrevink gemeinsam mit zwei Gefährten auf Hundeschlitten
Weitere Kostenlose Bücher