Der Wettlauf zum Suedpol
litt. Dennoch biss er die Zähne zusammen und bestand alle notwendigen Examen. 1883 wurde er zum Fähnrich ernannt und trat seine erste Dienststellung an. Wie die anderen Offiziersanwärter sollte er praktische Erfahrungen sammeln, die für das Kommando eines Kriegsschiffs notwendig waren. Es fiel ihm schwer, sich im oftmals rauen Klima der Mannschaftsdienstgrade durchzusetzen. Doch wieder überwand er seine inneren Hemmungen und gewann zunehmend an Selbstsicherheit,
sodass seine Karriere einen steten, wenn auch nicht glänzenden Verlauf nahm. Nach einem Jahr am Royal Naval College in Greenwich wurde er 1888 zum Leutnant zur See befördert, ein Jahr später zum Oberleutnant.
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Robert Falcon Scott als 14-jähriger Kadett der Königlichen Marineschule Dartmouth (1882, links) und als schmucker Navy-Offizier in Paradeuniform (um 1890).
Eine Möglichkeit zu einem weiteren Karrieresprung schien ihm eine Spezialisierung zu sein. Deshalb bewarb er sich 1891 für einen Ausbildungslehrgang bei der Torpedowaffe, einer damals relativ neuen Waffengattung, die einen erhöhten Bedarf an Führungskräften versprach. Obwohl er während einer Übung ein von ihm kommandiertes Torpedoboot auf Grund gesetzt hatte, konnte er 1893 die Ausbildung mit Auszeichnung abschließen und verrichtete in den darauf folgenden Jahren seinen Dienst als Torpedooffizier auf verschiedenen Schiffen der Kanalflotte. Auf mehr konnte Scott zunächst jedoch nicht hoffen. Zum einen hegten die Kapitäne, unter denen er Dienst tat, andauernde Zweifel an seinem Talent zur Führung von Schiffen und Menschen. Zum anderen zwangen ihn familiäre Angelegenheiten zu Einschränkungen. Zuerst musste er seinem Vater
wieder auf die Beine helfen, der Mitte der 1890er-Jahre das Vermögen der Familie endgültig ruiniert hatte. Als der Vater einige Zeit später starb, waren die Mutter und zwei jüngere Schwestern auf die Unterstützung Scotts angewiesen. Der weitere Weg nach oben schien ihm zunächst versperrt – bis Sir Clements Markham auf den Plan trat.
Glaubt man den Memoiren des RGS-Präsidenten, so hatte er Scott schon Jahre zuvor für die Leitung seiner Polarexpedition ausersehen. In Wahrheit dürfte das freilich ein Fall von nachträglicher Legendenbildung sein. Im Frühjahr 1887 war Markham – damals noch nicht Präsident, sondern ehrenamtlicher Sekretär der Geographischen Gesellschaft – während einer seiner Reisen auf der Karibikinsel Saint Kitts Zeuge einer Kleinbootregatta von Vertretern dreier Schlachtschiffe der Royal Navy gewesen. Aus dem Wettrennen war der gerade 18 Jahre alte Robert Falcon Scott als strahlender Sieger hervorgegangen. Vier Tage später wurde dieser Markham dann bei einem Essen vorgestellt – »ein charmanter Junge«, so Markham in seinem Tagebuch. Später schrieb er, er habe schon zu diesem frühen Zeitpunkt gewusst, dass Scott dazu bestimmt sei, die Antarktisexpedition einmal anzuführen. Tatsächlich war Scott noch lange einer unter vielen, die Markham für sein großes Projekt unter die Lupe nahm.
Zehn Jahre später sah er Scott dann im spanischen Vigo erneut. Wieder, so Markham, sei er tief beeindruckt gewesen von dessen »offenkundiger Berufung« für den Platz auf der Kommandobrücke seiner Antarktisexpedition. In Wahrheit spielte bei der Entscheidung der pure Zufall die Hauptrolle. Es war ein Tag Anfang Juni 1899, an dem sich Scott auf Urlaub in London befand. »Als ich die Buckingham Palace Road hinunterging, erspähte ich Sir Clements auf dem Gehsteig gegenüber«, schrieb er später, »natürlich überquerte ich die Straße, und ebenso natürlich kehrte ich um und begleitete ihn zu seinem Haus. An diesem Nachmittag hörte ich zum ersten Mal, dass es so etwas wie eine künftige Antarktisexpedition gab; zwei Tage später bewarb ich mich um ihre Leitung.«
Nichts qualifizierte ihn zu diesem Kommando. Schnee und Eis kannte er nur aus Büchern. An der Erforschung der Polargebiete hatte er keinerlei Interesse; von den wissenschaftlichen Herausforderungen einer Antarktisexpedition keine Ahnung. Noch nicht einmal jenes Maß an irrationalem Abenteurertum, das Männer wie Borchgrevink oder de Gerlache
nach Süden trieb, hatte sich bislang bei ihm gezeigt. Warum in drei Teufels Namen drängte er sich dann nach der Führung dieser Expedition? Scotts Marinekarriere war in jener Zeit an einem Scheideweg angekommen. Seit zehn Jahren war er nun schon Oberleutnant. Ihn plagte der Gedanke, dass er das entscheidende Nadelöhr,
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