Der Wettlauf zum Suedpol
verantworten, den schwerkranken Teddy Evans alleinzulassen, und blieb deshalb im Basislager.
Der kalte Tod
150 Kilometer weiter südlich kündigte sich eine endgültige Entscheidung an. Beim Frühstück fragte Oates Wilson, ob er noch eine Chance habe durchzukommen. Wilson drückte sich um eine ehrliche Antwort und sagte, er wisse es nicht. Doch alle fühlten, dass es nicht die Wahrheit war. Nachdem bereits seine Füße erfroren waren, konnte Oates jetzt auch seine Hände kaum mehr gebrauchen. Sein Ende schien nur noch eine Sache von Tagen. Doch mit den anderen Männern ging es ebenfalls stetig bergab. Alle waren bis auf die Knochen durchgefroren und schafften es kaum noch, mit ihren Ausrüstungsgegenständen zurechtzukommen. Weil sie zu wenig Brennstoff hatten, konnten sie das Zelt nicht mehr aufheizen, sodass ihre brettharten Kleidungsstücke nicht mehr auftauten. Es dauerte endlos, bis sie am Morgen ihre Stiefel an den schmerzenden Füßen hatten, und das bisschen Wärme der Schlafsäcke und das wohlige Gefühl des Frühstücks waren längst verflogen, bevor sie es endlich schafften aufzubrechen. Mit vereisten Fingern wurden auch das Ablegen der Skier und der Aufbau des Zelts am Abend zur Herkulesarbeit.
Die Temperaturen sanken weiter und erreichten jetzt tagsüber kaum mehr als minus 40 Grad Celsius, zudem tobten nun starke Schneestürme aus nördlicher Richtung – sie machten alle Hoffnungen zunichte, mit gesetztem Segel rasch voranzukommen. Scott musste erkennen, dass knapp elf Kilometer jetzt die oberste Grenze ihrer Leistungsfähigkeit waren, und stellte Berechnungen an, ob sie in dieser Geschwindigkeit mit ihren zur Neige gehenden Rationen One Ton Depot erreichen könnten. Die bittere Wahrheit: Es war – ob mit oder ohne Oates – nicht mehr zu schaffen, zumal sie nun auch noch der Sturm immer öfter im Zelt gefangen hielt. Scott zog jetzt die Konsequenz: »Ich befahl Wilson mehr oder weniger, uns die Mittel zur Beendigung unserer Qual auszuhändigen, damit jeder weiß, was im Notfall zu tun ist«, notierte er am 11. März. »Wilson hatte keine andere Wahl, wollte er nicht den Medizinkoffer geplündert sehen. Wir haben jeder 30 Opiumtabletten, Wilson selbst bleibt eine Tube Morphium. «
Am 15. oder 16. März – Scott hatte die Übersicht über die Tage verloren – bat Oates seine Gefährten, ihn im Schlafsack in der weißen Einöde zurückzulassen. Sie überredeten ihn noch einmal mitzukommen, doch in der Nacht ging es ihm immer schlechter. Nach Scotts Notizen hoffte Oates, am Morgen nicht mehr aufzuwachen – hatte er die Opiumtabletten genommen, und war die Dosis jedoch nicht tödlich? Er überlebte die Nacht und erwachte, als draußen wieder ein Schneesturm tobte. Er erhob sich mühsam und öffnete den Zeltverschlag. Scott schrieb: »Er sagte: ›I am just going outside and may be some time.‹ – ›Ich gehe einmal hinaus und bleibe vielleicht eine Weile draußen.‹ Dann ging er in den Orkan hinaus – und wir haben ihn nicht wiedergesehen. … Wir wussten, dass der arme Oates in den Tod hinausging, aber obwohl wir versuchten, es ihm auszureden, wussten wir doch, dass es die Tat eines tapferen Mannes und eines englischen Gentlemans war.« Es war eine Szene wie aus einem klassischen Drama, und die letzten Worte von Captain Oates sollten mit ihrer schlichten Tragik in das kollektive Gedächtnis der britischen Nation eingehen.
Scott folgte den Spuren seines britischen Rivalen Shackleton und wählte zum Pol den Weg über den Beardmore-Gletscher.
Doch war es wirklich so, oder hat Scott das bittere Ende von Oates zu einer ruhmreichen Heldengeschichte verfälscht? Das behaupten Scott-Kritiker wie Roland Huntford. Scott habe bereits für eine spätere Veröffentlichung geschrieben und für sich selbst nach einem Alibi gesucht. »Ein Untergebener, der bis zum äußersten Leiden getrieben wurde, könnte ihm in hohem Maße schaden; deshalb musste Oates ein Ende wie in einem Roman nehmen«, so Huntford. In einem kurzen Brief an Oates’ Mutter, den Wilson an diesem Tag verfasste, habe jedenfalls nichts von alledem gestanden. Oates sei als Mann und Soldat gestorben, berichtete Wilson, und er habe lediglich bedauert, dass er seiner Mutter keinen Abschiedsbrief mehr schreiben konnte.
Abb 205
»Dann ging er in den Orkan hinaus…«: Phantasievolle Darstellung eines britischen Künstlers von Oates’ melodramatischem Ende.
Scott dagegen wandte sich an diesem Tag in seinen Aufzeichnungen zum ersten Mal
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