Der Wettlauf zum Suedpol
als verlässliche Partnerin stets vorbehaltlos zur Seite stand.
Einstweilen hatte Scott den Nimbus des britischen Polarhelden noch für sich allein und war auf den Partys, Mittags- und Teegesellschaften der besseren Kreise Londons ein gern gesehener Gast. Er genoss die Ausflüge in die Welt der Schauspieler und Künstler, obwohl er mit seinen Mittelklasseansichten und der strengen Marineerziehung eigentlich überhaupt nicht in diese freisinnigen und mitunter dekadenten Gesellschaftszirkel passte. Dennoch begegnete ihm gerade hier die Liebe seines Lebens: Kathleen Bruce, eine Bildhauerin. Sie hatte mehrere Jahre in Paris gelebt, Künstler wie Picasso und Rodin kennengelernt und war mit der exzentrischen Tänzerin Isadora Duncan kreuz und quer durch Europa gereist; auch sagte man ihr gleichgeschlechtliche Neigungen und feministische Gesinnungen nach. Die auf den ersten Blick so unterschiedlichen Charaktere des noch immer eher schüchtern und verschlossen wirkenden Scott und der selbstsicheren und lebenslustigen Kathleen ergänzten sich jedoch
auf geradezu ideale Weise. Im September 1908 heirateten sie und richteten sich danach eine standesgemäße Wohnung in London ein. Kathleen wurde nun zur treibenden Kraft in Scotts Leben: »Du musst zum Südpol. Mein Gott, was nützt dir alle Energie und Tatkraft, wenn du noch nicht einmal das schaffst. Es muss zu schaffen sein. Also, beeil dich und lass nichts unversucht.« Sie pflegte gute Beziehungen zu einflussreichen Mitgliedern der Admiralität und knüpfte Kontakte zu möglichen Geldgebern für Scotts nächste Antarktisexpedition.
Unterdessen war bekannt geworden, dass Shackleton sein Wort gebrochen und doch Kurs zum McMurdo-Sund genommen hatte. Scott schäumte vor Wut: »Mich schockiert diese furchtbare Gemeinheit, die Shackleton in die Arbeit an diesem südlichen Bereich getragen hat; bisher ist es dabei so sauber und anständig zugegangen.« Dabei übersah er freilich, dass sein Rivale immerhin versucht hatte, sich an die Abmachung zu halten, sich aufgrund des Eisgangs jedoch mehr oder minder gezwungen sah, das bekannte Terrain als Ausgangspunkt seiner Expedition zu nutzen. Scott befürchtete, Shackleton könnte dadurch den Sieg im Wettlauf zum Pol davontragen, zumal dieser auch den Mut hatte, Neues auszuprobieren. Er nahm ein speziell konstruiertes Automobil mit in die Antarktis und plante, neben Hunden auch sibirische Ponys als Zugtiere einzusetzen. Das Auto freilich erwies sich bald als ungeeignet für die antarktischen Bodenverhältnisse, und auch die Ponys hielten nicht, was sich »Shackles« von ihrem Einsatz versprochen hatte. Einige verendeten schon während des Winters, die übrigen überlebten die harten Bedingungen auf dem Treck nach Süden nicht. Shackleton hatte zudem die alte britische Abneigung gegen Skier nicht überwinden können. So stapften er und seine drei Begleiter wie sechs Jahre zuvor durch den Schnee und zogen ihre Schlitten dabei großenteils selbst hinter sich her. Trotz der widrigen Begleitumstände gelang den Männern nach mehr als 600 Kilometern auf dem Schelfeis der Aufstieg zum Polarplateau, und sie drangen weiter nach Süden vor. Am 9. Januar 1909 mussten sie jedoch aufgeben. Sie hatten sich dem Südpol bis auf 97 Seemeilen (180 Kilometer) genähert. Später sollte Shackleton zu den Gründen seiner Umkehr so kurz vor dem großen Ziel sagen, er habe gemeint, seiner Frau sei sicherlich »ein lebendiger Esel lieber als ein toter Löwe«.
Für solche Sätze liebte ihn die britische Öffentlichkeit, und er wurde nach seiner Rückkehr nach Großbritannien im Juni 1909 begeistert gefeiert. Anders als Scott erhob ihn König Edward VII. umgehend in den Adelsstand, und Shackleton reiste als viel umjubelter »Hero of the day« durch das ganze Land. Mit den Ergebnissen seiner Expedition musste er sich wahrlich nicht verstecken: Er hatte es nicht nur am weitesten nach Süden geschafft, sondern auch endgültig bewiesen, dass der Südpol hoch oben auf einem Eisschild lag. Mitglieder seines Teams waren zudem zum magnetischen Südpol vorgedrungen und hatten den Mount Erebus auf der Rossinsel bestiegen. Auch Scott machte notgedrungen gute Miene zum bösen Spiel und übernahm sogar den Ehrenvorsitz anlässlich eines Essens zu Ehren von Shackleton in London. In einer Rede pries er zunächst die »großartige Arbeit« seines Rivalen in den höchsten Tönen, erklärte dann jedoch, worauf es seiner Meinung nach nun ankam: Man sollte die Erkenntnisse
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