Der Wettlauf zum Suedpol
und deshalb die ohnehin schon knappen Tagesrationen kürzte. Einen Tag vor dem Jahreswechsel erreichten sie bei 82°17’ den südlichsten Punkt ihrer Reise und stellten damit einen neuen Rekord auf. Dann hatte Scott ein Einsehen und gab den Befehl zur Umkehr. Sie waren mehr als 600 Kilometer weit vorgestoßen und hatten sich dem Pol bis auf 850 Kilometer genähert.
Abb 33
Eine einzige Plackerei: Scott und seine Männer brechen im Oktober 1903 nach Westen zur zweiten großen Erkundungsreise während der Discovery -Expedition auf, wobei sie ihre Schlitten selbst ziehen müssen.
Der Weg zurück wurde zu einem Kampf auf Leben und Tod, immer in der Sorge, ob sie die meist nur notdürftig gekennzeichneten Vorratslager in der Eiswüste würden wiederfinden können. Vor allem Shackleton ging es gesundheitlich zusehends schlechter. Nachdem auch die letzten Hunde ihr Leben ausgehaucht hatten, zogen Scott und Wilson ihre Schlitten selbst, während Shackleton meist nebenhertaumelte. Später sollte es zu Unstimmigkeiten über die Frage kommen, warum Shackleton manchmal auch auf dem Schlitten saß: Sollte er an Abhängen lediglich als Bremser fungieren – oder war er zu schwach, sich weiter auf den Beinen zu halten? Sein Leben verdankte er schließlich dem letzten Paar Skier, das die Männer noch nicht weggeworfen hatten. Während Scott und Wilson bei jedem Schritt im Schnee einsanken, schleppte sich Shackleton auf den Skiern vorwärts und erholte sich zusehends. Am 3. Februar 1903, drei Monate nach ihrem Aufbruch, trafen die Männer schließlich wieder an
der Discovery ein. Wie sich Wilson erinnert, waren sie völlig verdreckt, mit langem, schmutzigem Haar. Von den Nasen hing die Haut in Fetzen, die Lippen waren aufgerissen.
Über das Rossmeer war inzwischen ein Versorgungsschiff eingetroffen, das Nachrichten aus London brachte. Danach sollten die Vorräte ergänzt werden und die Discovery – wie bereits im Jahr zuvor vorgesehen – in Neuseeland überwintern. Doch Scotts Schiff blieb im Eis stecken, und alle eher halbherzig unternommenen Befreiungsversuche scheiterten. Das war dem Kapitän keinesfalls unrecht, denn er hatte Blut geleckt und sah sich bereit für weitere Heldentaten in der Antarktis. Dazu glaubte er sich freilich einiger Leute entledigen zu müssen, vor allem Ernest Shackletons, dem er die Schuld dafür in die Schuhe schob, nicht näher an den Südpol herangekommen zu sein. Shackleton wurde mit der Begründung nach Hause geschickt, dass »er mit seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand keine weiteren Entbehrungen riskieren sollte«. Doch jedem war klar, dass Scott sich damit eines ernsthaften Rivalen entledigte. Shackleton aber sollte sich als zäher erweisen, als Scott glaubte.
Nach der erneuten Überwinterung nahm Scott eine zweite große Erkundungsreise in Angriff. Sie führte nach Westen ins Innere von Victoria Land. Auf Hunde als Zugtiere verzichtete Scott diesmal ganz; neun Männer mussten sich selbst vor ihre schweren Schlitten spannen. Die Reise wurde zu einer einzigen Plackerei, bei der die Männer neun bis zehn Stunden am Tag 240 Pfund Last die Gletscherhänge des Royal-Society-Gebirges hinaufzogen. »Das geht wirklich zu weit«, notierte der Leitende Ingenieur der Discovery , Reginald Skelton. »Ich bin dagegen, dass man Menschen zu einer solchen Arbeit zwingt; ununterbrochen steht jeder unter höchster Anspannung, und gerade das mag ich nicht – das kann fatal ausgehen.« Doch Scott war unerbittlich und schickte zuletzt sogar die meisten Leute zurück, weil sie seinen Anforderungen nicht genügten, darunter auch den Kritiker Skelton.
Mit nur noch zwei Gefährten, dem Maschinengefreiten William Lashly und dem Unteroffizier Edgar Evans, kämpfte sich Scott weiter voran, doch es gab nichts mehr zu entdecken: Die Männer hatten die riesige Ebene des Polarplateaus erreicht, auf dem das Auge in der Schneewüste keinen Halt mehr fand. »Eine Szene, so durch und durch grässlich und
trist, dass sie einen zwangsläufig auf trübsinnige Gedanken bringen musste«, notierte Scott. »Alles, was wir geschafft haben, ist der Beweis, wie unermesslich diese weite Ebene ist.« Allerdings hatte er auf dieser Reise eine Erfahrung gemacht, die für sein weiteres Leben von Bedeutung sein sollte: Es gebe »keine Sorte von Menschen, die durch ihr Training so hervorragend geeignet sind, mit den Schwierigkeiten und Tücken des Lebens fertig zu werden, als die Männer von der Marine«. Nach sechs Wochen kehrte die
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