Der Wettlauf zum Suedpol
Expedition ins Nordpolarmeer. Amundsen bat Nansen um Verzeihung, dass er ihn und die ganze Welt hinters Licht geführt habe. Er, Amundsen, sei gezwungen gewesen, so zu handeln, weil er gefürchtet habe, dass man ihn sonst aufhalten werde. Deshalb sei auch Scott nicht über seine Pläne in Kenntnis gesetzt worden. Wo man an Land gehen werde, wisse man noch nicht genau – was freilich wiederum gelogen war –, den Engländern, die das Vortrittsrecht hätten, werde man aber nicht in die Quere kommen. Sobald die »Extratour« beendet sei, werde man Kurs nach Norden nehmen und die ursprünglich geplante Forschungsreise wieder aufnehmen. »Noch einmal bitte ich, behandeln Sie mich nicht zu streng«, schloss Amundsen sein Schreiben. »Ich bin kein Schwindler, ich handelte notgedrungen. Und so erbitte ich Ihre Verzeihung für das, was ich getan habe. Möge meine bevorstehende Arbeit Sühne sein für das, was ich verbrochen habe.«
Die Reise der Terra Nova
Die Terra Nova hatte unterdessen bereits die erste Etappe ihrer Fahrt hinter sich gebracht und befand sich nach einem Zwischenstopp in Südafrika auf dem Weg nach Australien. Kapitän Scott hatte das Schiff in Cardiff verlassen, um noch ein paar Tage im Kreise der Familie zu verbringen, ehe er mit einem Linienschiff hinterherreiste. Er hatte sich viel Zeit lassen können, denn die Terra Nova kannte, wie ein Besatzungsmitglied bitter bemerkte, nur zwei Geschwindigkeiten – langsam und noch langsamer. So brauchte sie fast vier Monate bis nach Australien, wo Scott jenes Telegramm Amundsens erreichte, das ihn, so Tryggve Gran, »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« traf. Der Gedanke, dass er einen Rivalen auf dem Weg zum Südpol haben könnte, kam Scott nicht sofort – oder er versuchte, ihn zu verdrängen. Die Antarktis war groß, es gab genug zu erforschen – warum also sollte es Amundsen ausgerechnet auf den »britischen« Pol abgesehen haben? Seiner Mannschaft gegenüber, die ihn bald den »Owner«, Eigentümer, nannte, schwieg er sich jedenfalls eisern über die Sache aus.
Immerhin bat er, wie von Gran vorgeschlagen, Fridtjof Nansen telegrafisch um Aufklärung. Dessen postwendende Antwort schien ebenso kurz wie unaufrichtig: »Unknown« – »unbekannt«. Offenbar hatte sich Nansen, obwohl er von Amundsen so schmählich hintergangen worden war, zum uneingeschränkten Verbündeten seines Landsmanns gemacht und hütete sich nun, den Briten genauere Informationen über dessen Pläne zu liefern. Jedoch ist das Telegramm von Scott an Nansen verloren gegangen und dessen Inhalt somit unklar. Hätte Scott gefragt, ob Amundsens Ziel der Südpol sei, wäre Nansens Antwort natürlich eine glatte Lüge gewesen. Sollte sich Scott dagegen nach dem geplanten Landungsort Amundsens erkundigt haben, wäre die Antwort »unbekannt« aber durchaus vertretbar gewesen. Zwar war in Amundsens Brief an Nansen von »Victorialand« die Rede gewesen, doch das hatte sich nur auf die grobe Richtung bezogen, welche die Fram von Madeira aus nehmen würde. »Wo wir da unten an Land gehen werden, kann ich noch nicht sagen«, hatte Amundsen weiter geschrieben. Insofern hatte Nansens Antwort durchaus ihre Berechtigung, zumal die Angabe »Victorialand« Scott wohl nur noch mehr verwirrt hätte. Schließlich lag der McMurdo-Sund – sein eigenes Zielgebiet – im Osten dieser antarktischen Region.
Abb 44
Verabschiedung der Terra Nova mit Scott und seinem Team an Bord im kleinen neuseeländischen Hafen Port Chalmers, 29. November 1910.
Abb 101
Ebenfalls in Neuseeland, in Lyttelton, hatten einige Tage zuvor Expeditionsteam und Schiffscrew um Robert Falcon Scott noch einmal für ein Gruppenfoto posiert.
Als die Terra Nova Ende Oktober Neuseeland erreichte, war sich Scott noch immer über das Ausmaß der Bedrohung unklar. Nun jedoch wurde er durch Presseberichte aufgeschreckt, dass Amundsens Ziel tatsächlich der Pol war. Anfang November wurde dann auch noch aus London gemeldet, dass Amundsen den McMurdo-Sund ansteuere – die Sache wurde immer verworrener. »Es gibt keinen Grund, warum er nicht versuchen sollte, den Pol zu erreichen – außer natürlich von dem bekannten Punkt aus, zu dem wir unterwegs sind«, erklärte ein zusehends verunsicherter Scott gegenüber neuseeländischen Journalisten. »Ich persönlich begrüße den freundschaftlichen Wettbewerb, der das Wissen über den antarktischen Kontinent erweitert. Allerdings ist es bedauerlich, dass Amundsen die Details seiner Pläne geheim
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