Der Wettlauf zum Suedpol
gewünscht hatte, sollte er selbst bald brauchen. Denn schon zwei Tage, nachdem die Terra Nova am 29. November 1910 die Küste Neuseelands hinter sich gelassen hatte und alle Verbindungen zur Zivilisation gekappt waren, geriet sie in einen schweren Orkan. Das Schiff stampfte und schlingerte, und in einem fort wuchtete die aufgewühlte See schwere Brecher über die Reling. Bald geriet die Deckladung ins Rutschen: Durchnässte Kohlensäcke trieben umher, Benzinfässer kullerten durcheinander, und die bemitleidenswerten Hunde wurden an ihren Ketten von der einen Seite zur anderen gerissen. Schlimmer war jedoch, dass bald Wasser ins Schiff eindrang und so rasch anstieg, dass das Feuer in den Kesseln ausging. Nun rächte es sich, dass man die Terra Nova vor ihrer großen Reise nicht gründlich überholt hatte, denn die altersschwachen Lenzpumpen waren den Wassermassen nicht gewachsen und fielen schließlich ganz aus. Die Männer versuchten, das einströmende, bald mit Kohlendreck vermischte Wasser mit einer Eimerkette aus dem Schiff zu befördern, doch es war keine Besserung in Sicht. Schließlich blieb nur noch, ein Loch in das eiserne Schott des Maschinenraums zu schneiden,
um die defekte Hauptpumpe reparieren zu können. Nach stundenlangem Kampf war es geschafft: Die Pumpe lief wieder, und das Schiff war gerettet. Als sich der Sturm gelegt hatte, bilanzierte Scott: Die Reling zertrümmert, zwei Ponys tot, ein Hund über Bord gespült, einige Tonnen Kohle und ein paar hundert Liter Benzin verloren – »unser Verlust ist nicht so groß, wie ich fürchtete, aber doch ernst genug«.
Kaum hatte sich die Mannschaft von diesem ersten Schlag erholt, folgte schon der nächste. Am 9. Dezember, nur zehn Tage nach der Abreise aus Neuseeland, sichtete der Ausguck die ersten Eisberge, und das Schiff steuerte ins Packeis – viel weiter nördlich, als Scott erwartet hatte. Zwei Tage lang kämpfte sich die Terra Nova noch mühsam durch die Eisschollen und fraß dabei den ohnehin dezimierten Kohlenvorrat in alarmierendem Tempo, dann saß sie im Packeis fest. Anders als die Fram hatte die Terra Nova keinen zeitgemäßen Dieselmotor bekommen, sondern wurde weiter mit Dampf betrieben. Das Aggregat musste immer unter Feuer gehalten werden, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können, falls sich plötzlich eine Fahrrinne durchs Eis auftat. Löschte man jedoch das Feuer und versuchte, auf diese Weise Brennstoff zu sparen, musste der Kessel erst wieder umständlich angeheizt werden. Wäre die Maschine dann einsatzbereit, so hätten sich die Verhältnisse vielleicht schon wieder geändert und Dutzende Tonnen Kohle wären ebenfalls nutzlos durch den Schornstein gejagt worden.
Abb 91
Scotts Schiff machte früher als erwartet Bekanntschaft mit dem Packeis (Aufnahme vom 13. Dezember 1910).
Scott machte die Warterei im Packeis sichtlich zu schaffen, und er haderte mit seinem Schicksal: »Ich kann mir wenige Dinge vorstellen, die die Geduld auf eine härtere Probe stellen als die langen Tage, die mit bloßem Warten verstrichen«, vertraute er seinem Tagebuch an. Er sah sich von Pech verfolgt. Nur eine Abwechslung boten diese Tage im Eis: Dann und wann gingen die Männer von
Bord und übten sich unter Anleitung von Tryggve Gran im Gebrauch der Skier – wobei sie sich kaum besser anstellten als ihre Kameraden von der Discovery neun Jahre zuvor. Drei lange Wochen hielt das Eis die Terra Nova gefangen, dann gelangte das Schiff endlich wieder in offene Gewässer und konnte seine Fahrt nach Süden fortsetzen. Am Neujahrstag des Jahres 1911 kamen die Bergspitzen der Antarktis in Sicht, einen Tag später gewahrte man an Bord den Mount Erebus mit seiner charakteristischen Rauchfahne. Doch Scotts Pechsträhne hielt an. Er hatte gehofft, am Kap Crozier, der Ostspitze der Rossinsel, überwintern zu können, von wo aus es einen direkten Zugang zur Eisbarriere gab. Aber der Seegang war an dieser Stelle zu stark; an eine Landung war nicht zu denken. Also musste die Terra Nova weiter westwärts fahren, zum altbekannten Gebiet des McMurdo-Sunds.
Abb 82
Kap Crozier, die Ostspitze der Rossinsel, für die sich Scott eigentlich als Landungs- und Überwinterungsort entschieden hatte, kam wegen zu starken Seegangs nicht infrage (Foto vom 3. Januar 1911).
Als das Schiff am 4. Januar in die von der Discovery -Expedition vertrauten Gewässer einfuhr, fand Scott den Sund zu seiner großen Überraschung weitgehend eisfrei. Ihm bot sich deshalb eine beträchtliche
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