Der Wettlauf zum Suedpol
Schneeverwehungen. Den Schlitten darauf ins Gleiten zu bringen, ist nahezu unmöglich, vielmehr können sich die Wettläufer nur in einem Stop-and-go-Modus vorwärtsbewegen. Ständig rutschen ihnen die Schlitten von hinten auf die Skier, ständig müssen die 60 Kilogramm Masse neu in Bewegung gesetzt werden. Die andauernde Ermunterung der Ausbilder, nochmals jedes Stück Gepäck auf seine Notwendigkeit zu überprüfen, wird zunehmend verinnerlicht.
Abb 61
Aufstieg zum Polarplateau: Die Österreicher kämpfen sich voran.
Das Ende der Akklimatisierung wird nach vier Tagen an der mit schwarzen Sandsäcken markierten »Landebahn« erreicht – dem Pick-up-Point der über 60 Jahre alten DC-3, welche die Teams zur Startlinie des Rennens bringen soll. Allerdings verzögert sich der Start der Maschine noch einmal, denn es kommt heftiger Sturm auf, der jeden Flug undenkbar macht. Stattdessen verkriechen sich die Teams in ihre Zelte, um sie nur für das Allernötigste zu verlassen. Doch obwohl der Sturm 24 Stunden lang an den Zeltwänden lautstark
rüttelt, ist dies eine gute Gelegenheit, sich vor dem Rennstart noch einmal auszuruhen.
Abb 57
Zum Schutz vor Gletscherspalten müssen die Wettläufer angeseilt gehen.
Natürlich wird darüber diskutiert, ob es sinnvoll ist, die Akklimatisierungsphase mit solchen Anstrengungen zu spicken. Markus Lanz und die anderen deutschen Teammitglieder sind darüber nicht glücklich. Im österreichischen Team sieht man es lockerer. »Normalerweise fahre ich mit dem Lift rauf«, meint Hermann Maier, »aber wenn es keinen anderen Weg gibt, dann gehen wir eben rauf.« Die Ausbilder erklären noch einmal, dass es unbedingt erforderlich ist, das Hochplateau zu erreichen – und ohne Anstrengungen geht das nicht. »Lieber ein härteres Training und dann ein leichteres Rennen«, lautet ihr Motivationsspruch.
Einstweilen jedoch machte sich darüber noch niemand Gedanken. Seit dem überstürzten Aufbruch am Kap Evans hatten die Männer 26 Tage fast ununterbrochen gekämpft und waren etwa 240 Kilometer weit vorgestoßen. Die Temperatur war auf fast minus 30 Grad Celsius gesunken; einige litten bereits unter Erfrierungen. Nun wollten sie möglichst rasch mit heiler Haut nach Hut Point zurück – allen voran Scott. Er hatte die Leistungen der Schlittenhunde schätzen gelernt, die den Ponys gegenüber haushoch überlegen gewesen waren. Dies war freilich auch dem Umstand zu verdanken, dass man im Gegensatz zur Discovery -Expedition in Meares und dem von diesem in Russland kurzerhand engagierten sibirischen Hundeführer Dmitrij Girev Experten dabeihatte, die in der Lage waren, die Hundeschlitten fachgerecht zu handhaben.
Scott bestimmte deshalb, dass er selbst mit den Hundeteams zurückfahren würde und die drei Treiber mit den fünf Ponys ins Basislager nachfolgen sollten. Während sich die Ponygruppe mit den erschöpften Tieren erneut unter widrigen Umständen anderthalb Wochen lang nach Norden kämpfte, kamen die Hundeschlitten schnell voran und waren schon nach drei Tagen in die Nähe des Corner Camps gelangt. Trotzdem beschloss Scott, seine selbst aufgestellten Vorsichtsmaßregeln außer Acht zu lassen und nicht den vermeintlichen Umweg zum Camp zu nehmen, sondern direkt nach Süden zu fahren – mitten in ein Gebiet mit zahlreichen Gletscherspalten hinein. Es kam, wie es kommen musste: Nachdem die Teams schon mehrere Schneebrücken – kaum belastbare Schneeverwehungen über oft Hunderte von Metern tiefen Gletscherspalten – mit heiler Haut überwunden hatten, versank plötzlich ein Hundeteam in einer Eisspalte. Nur der Leithund konnte sich noch an der Oberfläche halten, die übrigen Hunde baumelten an ihren Geschirren über dem Abgrund. Obwohl es für die Männer lebensgefährlich war, bestand Scott darauf, die Tiere zu retten, und ging schließlich sogar ein geradezu wahnwitziges Risiko ein: Er wollte zwei Hunde, die aus dem Geschirr gerutscht waren, von einem etwa 20 Meter tief gelegenen Eissims bergen. »Scott schlug vor, am Gebirgsseil hinunterzusteigen, um auch sie heraufzuholen«, beschreibt Cherry-Garrard den Zwischenfall. »All seine liebenswürdigsten Instinkte
wurden wach, ebenso wie der Gedanke, zwei Tiere aus seinem Team verlieren zu können. Wilson dachte, dass es eine verrückte Idee wäre und sehr gefährlich, und sagte dies auch, fügte allerdings die Frage hinzu, ob, wenn denn schon jemand hinuntermüsse, es nicht besser wäre, dass er anstelle von Scott hinunterginge.
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