Der Wettlauf zum Suedpol
vollkommen ungeeignet. »Die Gläser waren ständig vom Schweiß beschlagen, den man während des Marsches nicht wegwischen konnte, da jede Hand einen Skistock hielt«, bemängelte Bowers. Das war einerseits wiederum auf die mangelhafte Vorbereitung zurückzuführen – Scott hatte einfach handelsübliche Schneebrillen bestellt, die für einen Tagesausflug ins Gebirge taugten, während Amundsen spezielle Brillen anfertigen ließ. Auf die Idee, die Brillen umzuarbeiten und individuell anzupassen, wie es die Norweger während des Winters getan hatten, war zudem niemand gekommen.
Der Wettlauf beginnt
Haben Österreicher und Deutsche den Aufstieg zum Polarplateau noch im Gleichklang und gemeinsam mit den Ausbildern absolviert, so wird es auf 86°40′ endlich ernst. Nun müssen die Teams selbst entscheiden, mit welcher Strategie sie das Rennen bestreiten. Ungestüm vorwärtsstürmen und versuchen, rasch viele Kilometer zu schaffen? Dann würde man sich vielleicht überanstrengen und einen Ausfall riskieren. Oder es lieber ruhiger angehen und dem Ziel in gemächlichem Tempo, aber stetig näher kommen? Dann könnte es womöglich sein, dass die Konkurrenten aus dem anderen Lager eher am Pol eintreffen.
Die Atmosphäre ist angespannt. Alle wissen, dass es hart werden wird, aber wie es sich dann allein in der weißen Einöde wirklich anfühlen wird, kann keiner vorhersehen. Die Route sieht vor, dass die Teams gemeinsam starten, sich dann aber auseinanderbewegen und aus den Augen verlieren. Nach einem vorgegebenen Wegpunkt geht es für beide wieder direkt auf den auf halber Strecke liegenden Midway-Checkpoint und von dort aus geradewegs Richtung Südpol. Werden die Kräfte für die geplante Strategie reichen?
Zwei in den Boden gerammte Skistöcke irgendwo im Nirgendwo markieren die Startlinie – eine kuriose Situation: Da das Filmteam mit Drehen beschäftigt ist, sind die einzigen Zuschauer in diesem eigentlich so besonderen Moment nur die sechs Expeditionsbegleiter. Der Rennleiter gibt allen noch ein paar Worte mit auf den Weg, schüttelt jedem Teilnehmer die Hand, dann hupen die beiden Begleitfahrzeuge einmal – das Rennen hat begonnen. Ein unspektakulärer Start, zumal die Wettläufer nicht wie wild losstürmen, sondern sofort in den Trott verfallen, mit dem sie in den nächsten zwei Wochen als erstes Team zum Pol gelangen wollen. Sie wissen: Das Rennen für sich entscheiden wird derjenige, der die Kräfte richtig einteilt, der die schnellste Zeltroutine entwickelt, der die richtige Balance zwischen marschieren und pausieren findet.
Abb 156
Das Startsignal ist ertönt: Der Wettlauf zum Südpol beginnt.
Abb 157
Das Teamwork muss stimmen: Keiner darf zurückbleiben.
Das österreichische Team hat einen eindeutigen Chef – hier gibt der »Herminator« den Takt vor. Und dessen Schlagzahl ist hoch: Er will sofort Terrain gewinnen und fordert von seinem Team Höchstleistungen. »Wenn man über Hermann Maier spricht, dann spricht man über eine Urgewalt, wie ich sie so selten gesehen habe«, charakterisiert Markus Lanz seinen österreichischen Konkurrenten. »Das ist ganz enorm, was dieser Mensch körperlich leisten kann. Das ist ein absoluter Hochofen, das sind 100 Kilogramm Muskelmasse und ein Siegeswille, der unglaublich ist, und der ja auch dazu geführt hat, dass er einer der besten Skifahrer aller Zeiten geworden ist.« Doch werden auch Maiers Mitstreiter dessen Tempo durchhalten können?
Abb 163
Kampf gegen die Langeweile: Die Eislandschaft bietet keinerlei Abwechslung.
Bei den Deutschen sind die Rollen weniger klar verteilt. Markus Lanz und Joey Kelly sind als Sportler und Abenteurer eher Einzelkämpfer und scheuen sich, in der ungewohnten Umgebung der Antarktis das Kommando zu übernehmen. So schlüpft Dennis Lehnert immer mehr in die Rolle des Teamchefs. Als Bundeswehroffizier und Ausbilder bei der Luftwaffe ist er es gewöhnt, für andere zu entscheiden und seiner Truppe die Richtung vorzugeben. Er ist ähnlich ehrgeizig wie Hermann Maier und will den Wettlauf, den er als seine ganz persönlichen »Olympischen Spiele« ansieht, unbedingt gewinnen. Ganz konfliktfrei geht dies freilich nicht vonstatten, und so brauchen die Deutschen einige Tage, bis sie sich zu einem Team geformt haben.
Bald jedoch haben auch sie ihren Rhythmus gefunden und kämpfen sich voran Richtung Südpol. Wie bei den Österreichern wird während des Marschs wenig gesprochen. Jeder hängt seinen Gedanken nach. »Ich hatte schon
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