Der Widersacher
erzählt, es gibt eindeutige Hinweise, dass George angegriffen und gewürgt wurde. Er meinte, höchstwahrscheinlich von einem Polizisten. Erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, Sie wollen diesen Mann decken, bloß weil er Polizist ist.«
»Keinesfalls, Deborah, und ich glaube, das wissen Sie auch. Als ich vor ein paar Tagen zum ersten Mal hier war, hat Ihnen der Stadtrat genau gesagt, was Sie erzählen und was Sie verschweigen sollen.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Dass zum Beispiel das Zimmer, das sich Ihr Mann im Chateau Marmont genommen hat, das Zimmer ist, in dem Sie Ihre Hochzeitsnacht verbracht haben. Oder dass Ihr Sohn am Montag nach Hause kommen sollte – und Ihr Mann sein Flugticket schon gebucht hatte, bevor er am Abend ins Chateau Marmont gefahren ist.«
Das ließ er eine Weile so stehen, damit ihr klarwurde, was er alles wusste.
»Chad sollte nach Hause kommen, weil Sie beide ihm etwas mitzuteilen hatten, nicht?«
»Das ist doch lächerlich!«
»Wirklich? Dann sollte ich vielleicht lieber erst mit Chad sprechen und ihn fragen, was Sie ihm erzählt haben, als er am Sonntagnachmittag das Flugticket zugeschickt bekam.«
»Halten Sie Chad da raus. Er macht schon genügend durch.«
»Dann reden Sie mit mir, Deborah. Warum haben Sie es vertuscht? Geld kann nicht der Grund gewesen sein. Wir haben uns die Versicherungspolicen angesehen. Sie enthalten alle keine Selbstmordklauseln. Sie bekommen das Geld, egal, ob er gesprungen ist oder nicht.«
»Er ist nicht gesprungen! Ich rufe jetzt Irvin an. Ich werde ihm sagen, was Sie behaupten.«
Sie stand auf.
»Haben Sie Ihrem Mann gesagt, dass Sie ihn verlassen wollen? War es das? War das der Grund, weshalb er Ihr Hochzeitsdatum als Kombination des Zimmersafes verwendet hat? Ist das der Grund, warum er gesprungen ist? Sein Sohn war bereits aus dem Haus, und jetzt wollten auch Sie ihn verlassen. Seinen Freund Bobby Mason hatte er bereits verloren, und alles, was ihm jetzt noch blieb, war ein Job, in dem er für seinen Vater den Wasserträger machte.«
Sie versuchte es mit der letzten besten Verteidigungstaktik einer Frau. Sie begann zu weinen.
»Sie Schwein! Sie versuchen, den Ruf eines anständigen Mannes zu ruinieren. Ist es das, was Sie wollen? Wird Sie das glücklich machen?«
Bosch antwortete lange nicht.
»Nein, Mrs. Irving, eigentlich nicht.«
»Ich bitte Sie, gehen Sie jetzt. Mein Mann wurde heute beerdigt, und ich möchte, dass Sie auf der Stelle dieses Haus verlassen!«
Bosch nickte, machte aber keine Anstalten aufzustehen.
»Ich gehe, sobald Sie mir die wahre Geschichte erzählt haben.«
»Ich kenne die wahre Geschichte nicht!«
»Dann kennt sie Chad. Ich warte auf ihn.«
»Hören Sie, Chad weiß von nichts. Er ist neunzehn, noch ein halbes Kind. Wenn Sie mit ihm reden, zerstören Sie sein Leben.«
Bosch merkte, dass es bei all dem nur um den Sohn ging: dass er nicht erfahren sollte, dass sein Vater Selbstmord begangen hatte.
»Dann müssen Sie zuerst mit mir reden. Das ist Ihre einzige Chance, Mrs. Irving.«
Sie krallte die Finger in die Armlehnen ihres Sessels und ließ den Kopf sinken.
»Ich habe George gesagt, dass unsere Ehe beendet ist.«
»Und wie hat er das aufgenommen?«
»Nicht gut. Er hat es nicht kommen sehen, genauso wenig wie er gesehen hat, was aus ihm geworden ist. Ein Opportunist, ein Profitgeier, ein Wasserträger, wie Sie es ausgedrückt haben. Chad war bereits aus dem Haus, und ich beschloss, es ebenfalls zu verlassen. Es gab hier niemanden mehr. Es gab keinen Grund mehr zu bleiben. Ich hatte noch keine konkreten Vorstellungen, wohin ich wollte. Ich wollte nur weg von ihm.«
Bosch beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie, um dem Gespräch einen vertraulicheren Charakter zu verleihen.
»Wann hat diese Aussprache stattgefunden?«, fragte er.
»Vor einer Woche. Wir haben eine Woche lang immer wieder darüber gesprochen, aber ich ließ mich nicht umstimmen. Ich bat ihn, Chad nach Hause zu holen; andernfalls wäre ich hochgeflogen, um es ihm zu sagen. Am Sonntag hat er dann den Flug für ihn gebucht.«
Bosch nickte. Es passte alles ins Bild.
»Und Stadtrat Irving? Wusste er Bescheid?«
»Ich glaube nicht. Ich habe es ihm jedenfalls nicht erzählt, und es kam auch nicht zur Sprache, nachdem … als er herkam und mir sagte, dass George tot ist. Er hat nichts in dieser Richtung erwähnt, und das war auch heute bei der Beerdigung nicht anders.«
Bosch wusste, dass das nichts zu besagen
Weitere Kostenlose Bücher