Der Widersacher
könnte. Es würde auch den Anruf erklären. Er hat den Jungen am Abend angerufen, um ihm von dem Ticket zu erzählen.«
Bosch antwortete nicht. Sein Handy signalisierte ihm einen eingehenden Anruf. Mason meldete sich.
»Das habe ich doch gut gemacht, oder, Harry?«, sagte Chu. »Ich hab dir versprochen, dass ich alles wieder wettmache.«
»Es war gute Arbeit, aber wett macht es gar nichts«, sagte Bosch.
Bosch merkte, dass seine Tochter von ihrem Buch aufschaute. Sie hatte gehört, was er gesagt hatte.
»Jetzt hör mal, Harry, ich mag meinen Job«, sagte Chu. »Ich möchte nicht …«
Bosch unterbrach ihn.
»Ich bekomme gerade einen anderen Anruf. Ich muss rangehen.«
Er unterbrach die Verbindung und schaltete auf den anderen Anruf um. Es war Mason, der sich auf den Funkspruch der Zentrale hin meldete.
»Die Honeymoon Suite, die Sie für die Irvings reserviert haben. Die war doch im Chateau Marmont, oder?«
Mason schwieg eine Weile, bevor er antwortete: »Dann haben Ihnen Deborah und der Stadtrat das also nicht gesagt, nehme ich mal an?«
»Nein, haben sie nicht. Deshalb waren Sie also so sicher, dass er gesprungen ist. Wegen der Suite.«
»Natürlich. Für mich war der Fall eigentlich völlig klar. Er wusste nicht mehr weiter, und dann ist er da hochgegangen.«
Bosch nickte. Mehr für sich selbst, als um Mason zuzustimmen.
»Okay, Mason, danke für den Rückruf.«
Bosch unterbrach die Verbindung. Er legte das Handy auf den Tisch und schaute zu seiner Tochter, die auf der Couch saß und las. Sie schien seinen Blick zu spüren und blickte von den Wörtern Stephen Kings zu ihm auf.
»Alles okay?«, fragte sie.
»Nein«, sagte er. »Nicht wirklich.«
[home]
30
E s war halb neun, als Bosch vor dem Haus anhielt, in dem George Irving gelebt hatte. Es brannte noch Licht, aber die Garagentore waren zu, und in der Einfahrt standen keine Autos. Bosch beobachtete die hellen Fenster mehrere Minuten, sah aber hinter keinem eine Bewegung. Falls Deborah Irving und ihr Sohn zu Hause waren, war es nicht zu erkennen.
Bosch holte das Handy heraus und schickte seiner Tochter, wie besprochen, eine SMS . Er hatte sie allein zu Hause gelassen und ihr gesagt, dass er spätestens in zwei Stunden wieder zurück wäre und sich bei ihr melden würde, wenn er sein Ziel erreicht hatte und wieder losfuhr.
Sie antwortete prompt.
Alles klar. Hausaufgaben fertig, schaue die runtergeladenen Folgen von Castle.
Bosch steckte das Handy ein und stieg aus dem Auto. Er musste zweimal klopfen, und als die Tür geöffnet wurde, war es Deborah Irving selbst.
»Detective Bosch?«
»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, Mrs. Irving. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
»Hat das nicht bis morgen Zeit?«
»Leider nein, Ma’am.«
»Na gut. Kommen Sie herein.«
Sie öffnete die Tür ganz und führte ihn in das Zimmer und zu der Couch, auf der er zu Beginn der Ermittlungen schon einmal gesessen hatte.
»Ich habe Sie heute bei der Beerdigung gesehen«, sagte sie. »Chad hat erzählt, Sie haben mit ihm geredet.«
»Ja. Ist er noch da?«
»Er bleibt übers Wochenende, aber im Moment ist er nicht zu Hause. Er trifft sich mit einer Freundin. Wie Sie sich sicher denken können, ist es im Moment nicht einfach für ihn.«
»Ja, das kann ich gut verstehen.«
»Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Wir haben eine Nespresso-Maschine.«
Bosch wusste nicht, was das bedeutete, aber er schüttelte den Kopf.
»Nein danke, Mrs. Irving.«
»Sie können mich gern Deborah nennen.«
»Deborah.«
»Sind Sie gekommen, um mir zu sagen, dass Sie demnächst jemanden festnehmen werden?«
»Äh, nein. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass es zu keiner Festnahme kommen wird.«
Sie schien überrascht.
»Dad – ich meine, Stadtrat Irving – hat mir aber erzählt, es gäbe einen Verdächtigen. Irgendein Konkurrent der Firma, die George vertreten hat.«
»Nein. Zunächst sah es zwar so aus, aber das war eine falsche Fährte.«
Er achtete sehr genau auf ihre Reaktion. Keine verräterischen Anzeichen. Sie wirkte nach wie vor aufrichtig überrascht.
»Und auf diese falsche Fährte haben Sie mich gesetzt«, fuhr Bosch fort. »Sie und der Stadtrat und auch Chad haben mir etwas verheimlicht. Weil ich etwas, was ich hätte wissen müssen, nicht wusste, bin ich einem Mörder hinterhergestolpert, obwohl es gar keinen Mörder gibt.«
Jetzt schlich sich zum ersten Mal eine gewisse Ungehaltenheit in ihre Miene.
»Wie soll ich das verstehen? Dad hat mir
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