Der Widersacher
die Diele in einen größeren Raum mit einer Wendeltreppe überging. Nichts deutete darauf hin, dass noch jemand im Haus war.
»Herr Stadtrat, sagen Sie mir nicht, wie ich die Ermittlungen zu führen habe. Wenn Sie mich von dem Fall abziehen wollen, bitte, dann rufen Sie den Polizeichef an. Aber solange ich den Fall habe, führe ich die Ermittlungen so, wie ich es für das Beste halte.«
Irving machte einen Rückzieher.
»Selbstverständlich. Ich werde jetzt Deborah holen. Nehmen Sie mit Ihrem Partner schon mal im Wohnzimmer Platz.«
Er führte sie ins Haus und deutete ins Wohnzimmer. Dann verschwand er. Bosch sah Chu an und schüttelte im selben Moment, in dem sein Partner eine Frage stellen wollte, den Kopf. Er war sicher, dass sie sich auf Irvings Einmischung in das Ermittlungsverfahren bezog.
Chu verkniff sich die Frage, und im selben Moment kam Irving zurück. Er führte eine atemberaubend schöne blonde Frau ins Zimmer. Bosch schätzte sie auf Mitte vierzig. Sie war groß und schlank, aber nicht zu groß und zu schlank. Sie wirkte gramgebeugt, aber der Schönheit einer Frau, die so erlesen alterte wie ein guter Wein, tat das keinen Abbruch. Irving führte sie am Arm zu einem Sessel, der gegenüber dem Sofa stand.
Bosch stellte sich in die Sitzgruppe, setzte sich aber nicht. Er wartete ab, wie sich Irving verhalten würde, und als klarwurde, dass der Stadtrat vorhatte, an dem Gespräch teilzunehmen, erhob Bosch Einspruch.
»Wir sind hier, um mit Mrs. Irving zu sprechen«, erklärte er. »Und das müssen wir allein tun.«
»Meine Schwiegertochter möchte aber, dass ich bei ihr bleibe«, entgegnete Irving. »Deshalb werde ich bleiben.«
»Kein Problem. Wenn Sie sich irgendwo anders im Haus aufhalten möchten, falls sie Sie braucht, wäre das sogar wünschenswert. Aber ich muss Sie bitten, uns allein mit Mrs. Irving sprechen zu lassen.«
»Schon okay, Dad, kein Problem«, sagte Deborah Irving und entschärfte damit die Situation. »Mach dir doch in der Zwischenzeit in der Küche was zu essen.«
Irving sah Bosch lange an. Wahrscheinlich kamen ihm erste Zweifel an der Richtigkeit seiner Entscheidung, Bosch mit den Ermittlungen zu betrauen.
»Ruf einfach, wenn du mich brauchst.«
Damit verließ Irving das Wohnzimmer, und Bosch und Chu setzten sich. Bosch übernahm das Vorstellen.
»Mrs. Irving, zuerst möchte ich …«
»Sie können ruhig Deborah zu mir sagen.«
»Gut, Deborah. Zuallererst möchten wir Ihnen unser Beileid zum Tod Ihres Mannes ausdrücken. Außerdem möchten wir Ihnen dafür danken, dass Sie sich in dieser schweren Stunde bereit erklärt haben, mit uns zu sprechen.«
»Danke, Detective. Ich bin gern bereit, mit Ihnen zu reden. Es ist nur, dass ich nicht glaube, Ihnen irgendwelche Auskünfte geben zu können, die Sie in irgendeiner Weise weiterbringen werden. Außerdem war diese Nachricht ein solcher Schock für mich, dass ich …«
Sie blickte sich im Zimmer um, und Bosch verstand sofort, wonach sie suchte. Ihr kamen wieder Tränen. Bosch gab Chu ein Zeichen.
»Bring Deborah ein paar Papiertaschentücher. Schau im Bad nach.«
Chu stand auf. Bosch beobachtete die Frau, die ihm gegenüber saß, aufmerksam und hielt Ausschau nach Zeichen unverstellter Gefühle.
»Ich habe keine Ahnung, warum er das getan haben könnte«, sagte sie.
»Fangen wir doch am besten mit den einfachen Fragen an. Mit denen, auf die es eine Antwort gibt. Sagen Sie mir einfach, wann Sie Ihren Mann zum letzten Mal gesehen haben.«
»Gestern Abend. Er ist nach dem Essen weggefahren und nicht mehr zurückgekommen.«
»Hat er gesagt, wohin er wollte?«
»Nein. Nur, dass er mit dem Cabrio den Mulholland hochfahren wollte, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Er meinte, ich solle nicht auf ihn warten. Das habe ich auch nicht.«
Bosch wartete, aber mehr kam nicht.
»War es ungewöhnlich, dass er einfach so, ohne festes Ziel, weggefahren ist?«
»In letzter Zeit hat er das relativ oft gemacht. Ich hatte allerdings nicht den Eindruck, dass er nur so durch die Gegend gefahren ist.«
»Sie meinen, er hat etwas anderes gemacht?«
»Überlegen Sie doch mal, Lieutenant.«
»Ich bin Detective, nicht Lieutenant. Nehmen Sie mir doch das Überlegen ab, Deborah. Wissen Sie, was Ihr Mann gemacht hat?«
»Nein, das weiß ich nicht. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass ich nicht dachte, er würde bloß den Mulholland hochfahren. Ich dachte, er würde sich mit jemand treffen.«
»Haben Sie ihn darauf
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