Der Widersacher
zugrunde lag, ließ darauf schließen, dass George Irving sie eingegeben hatte. Andererseits konnte jeder, der einen Computer hatte, aus amtlichen Unterlagen ein Hochzeitsdatum heraussuchen. Deshalb war auch das wieder eine Information, mit der sich weder ein Mord noch ein Selbstmord zweifelsfrei ausschließen ließ.
Bosch beschloss, wieder eine neue Richtung einzuschlagen.
»Deborah, was genau hat Ihr Mann beruflich gemacht?«
Das beantwortete sie mit einer ausführlicheren Fassung dessen, was der Stadtrat Bosch erzählt hatte. George war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und mit einundzwanzig zur Polizei gegangen, hatte aber nach fünf Jahren Streifendienst begonnen, Jura zu studieren. Nach dem Examen arbeitete er in der Vertragsabteilung des City Attorney. Dort blieb er, bis sein Vater für den Stadtrat kandidierte und gewählt wurde. Daraufhin kündigte George bei der Stadt und machte sich als Berater selbständig, wobei er seine Erfahrung und die Beziehungen zu seinem Vater und anderen in der Stadtverwaltung dazu nutzte, seinen Klienten Zugang zu den Schaltzentralen der Macht zu verschaffen. George Irvings Kundenstamm umfasste ein breites Spektrum, das von Abschleppfirmen, Taxiunternehmen, Betonlieferanten, Baufirmen und Reinigungsbetrieben bis zu städtischen Verwaltungsbehörden reichte. Er war jemand, der einen Antrag zum richtigen Zeitpunkt der richtigen Stelle zu Gehör zu bringen wusste. Wenn man mit der Stadt Los Angeles ins Geschäft kommen wollte, wandte man sich an jemanden wie George Irving. Er hatte zwar ein Büro im Schatten der City Hall, aber das war nicht, wo die Arbeit getan wurde. Irvings Revier waren die Verwaltungsflügel und Büros der City Hall. Dort wurde die Arbeit getan.
Die Witwe Irving berichtete, dass ihnen die Tätigkeit ihres Mannes ein stattliches Einkommen beschert hatte. Der Schätzwert des Hauses, in dem sie wohnten, betrug selbst unter Berücksichtigung der schlechten Wirtschaftslage mehr als eine Million Dollar. Mit seiner Tätigkeit hatte sich George Irving zwangsläufig auch Feinde geschaffen. Das waren unzufriedene Kunden oder Unternehmen, die mit seinen Klienten um Aufträge konkurrierten – in George Irvings Welt herrschte ein ständiges Hauen und Stechen.
»Hat er jemals von einem schwierigen Auftrag oder einer bestimmten Person erzählt, die wütend auf ihn war oder einen Groll gegen ihn hegte?«
»Mir hat er jedenfalls nichts dergleichen erzählt. Er hat allerdings eine Büroleiterin. Das heißt, richtiger sollte ich wohl sagen, er hatte eine Büroleiterin. Sie müsste über solche Dinge besser Bescheid wissen als ich. Über die Arbeit hat George kaum mit mir gesprochen. Er wollte nicht, dass ich mir deswegen Sorgen mache.«
»Wie heißt diese Frau?«
»Dana Rosen. Sie arbeitet schon lange für ihn – seit der Zeit im Büro des City Attorney.«
»Haben Sie heute schon mit ihr gesprochen?«
»Ja, aber das war, bevor ich erfahren habe, dass …«
»Sie haben mit ihr gesprochen, bevor Sie erfahren haben, dass Ihr Mann gestorben ist?«
»Ja, als ich heute Morgen aufstand, merkte ich, dass er gestern Nacht nicht nach Hause gekommen ist. Weil er sich auch auf dem Handy nicht gemeldet hat, habe ich im Büro angerufen und Dana gefragt, ob sie ihn heute schon gesehen hätte. Sie hat nein gesagt.«
Sie hat nein gesagt. Bosch fiel auf, wie Deborah Irving ihm mitteilte, was Dana Rosen gesagt hatte. Sie stellte es nicht als eine wahre Behauptung dar. Er fragte sich, ob die zwei Frauen Probleme miteinander hatten oder ob Eifersucht im Spiel war. War Dana Rosen vielleicht die Frau, von der Deborah Irving annahm, dass ihr Mann sich bei seinen nächtlichen Ausflügen mit ihr traf?
»Aber Sie haben sie, seit Sie vom Tod Ihres Mannes erfahren haben, nicht noch einmal angerufen?«
»Nein.«
Bosch notierte sich den Namen und schloss sein Notizbuch. Er fand, für den Anfang hatte er schon einiges. Er hatte zwar nicht alles abgeklärt, aber das war nicht der Moment für eine lange Frage-und-Antwort-Sitzung. Er war sicher, dass er Deborah Irving einen weiteren Besuch abstatten würde. Er stand auf.
»Ich glaube, das genügt fürs Erste, Deborah. Wir wissen, wie schwer das alles für Sie sein muss und dass Sie jetzt bei Ihrer Familie sein wollen. Haben Sie es Ihrem Sohn schon gesagt?«
»Nein, das hat Dad gemacht. Er hat ihn angerufen. Chad fliegt heute Abend runter.«
»Wo geht er aufs College?«
»Er ist an der USF – an der University of San
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