Der Widersacher
Valley. Im Zuge des allgemeinen Wohlstands und der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, war es die erste im großen Stil geplante Gemeinde von Los Angeles gewesen, für die Meilen von Orangenplantagen und Weideland den scheinbar endlosen Einheitssiedlungen und niedrigen Wohnblöcken hatten weichen müssen, die bald das Bild des Valleys prägen sollten. An die nahe gelegenen Produktionsstätten von General Motors und der Schlitz-Brauerei gekoppelt, war dieses stadtplanerische Modell beispielhaft für die Ära der Autotopie von Los Angeles. Jeder Bewohner mit einem Job und einem Weg zur Arbeit. Jedes Haus mit einer Garage. Jeder Blick aus dem Fenster mit einem Bergpanorama. Bewerben brauchten sich nur in Amerika geborene Weiße.
So sah das Konzept jedenfalls 1947 aus, als das Land parzelliert und die Grundstücke zum Verkauf ausgeschrieben wurden. Im Lauf der Jahrzehnte, die seit der feierlichen Einweihung der Schlafstadt von morgen verstrichen waren, waren jedoch sowohl General Motors als auch Schlitz abgezogen, und der Blick auf die Berge war vom Smog verhangen. Die Straßen verstopfte dichter Verkehr, die Kriminalitätsrate stieg stetig, und die Leute fingen an, in den Garagen zu wohnen. Schlafzimmerfenster wurden vergittert, und an den ehemals großzügigen und einladenden Eingängen der karreeförmig angelegten Wohnsiedlungen wurden Sicherheitstore angebracht. Graffitis markierten die Reviere der verschiedenen Gangs, und der Name Panorama City, der einmal für eine Zukunft, so weit und unbegrenzt wie der 360 -Grad-Rundumblick, gestanden hatte, war inzwischen nur noch bittere Ironie. Ein Ort mit einem Namen, der wenig von dem wiedergab, was dort tatsächlich los war. In Teilen dieser ehedem so stolzen vorstädtischen Insel der Seligen schlossen sich die Bewohner zusammen und ließen sich lieber in die angrenzenden Viertel von Mission Hills, North Hills und sogar Van Nuys eingemeinden, um bloß nicht mit Panorama City in Verbindung gebracht zu werden.
Bosch und Chu hatten Glück. Der
Tacos-La-Familia
-Imbisswagen stand noch an der Ecke Woodman und Nordhoff am Straßenrand. Chu fand nur zwei Autos weiter einen Parkplatz. Der Taquero machte bereits sauber und räumte seine Sachen auf, aber er bediente sie noch. Weil es keine Burritos mehr gab, nahm Chu Shrimp-Tacos, und Bosch bestellte Carne asada. Der Mann reichte ihnen eine Plastikflasche mit Salsa durchs Fenster. Beide kauften sich eine Flasche Jarritos Ananas zum Essen, und der ganze Spaß kostete sie zusammen acht Dollar. Bosch gab dem Mann einen Zehner und sagte ihm, er solle den Rest behalten.
Weil keine anderen Gäste da waren, nahm Bosch die Salsa-Flasche zum Auto mit. Er wusste, dass es bei Imbiss-Tacos vor allem auf die Soße ankam. Um sich nicht mit Saft oder Soße zu bekleckern, aßen sie über die Motorhaube gebeugt.
»Nicht übel, Harry.« Chu nickte, während er kaute.
Bosch nickte mit vollem Mund zurück. Schließlich schluckte er und drückte mehr Salsa auf seinen zweiten Taco. Dann reichte er seinem Partner die Flasche über die Motorhaube.
»Klasse Salsa«, bemerkte er dazu. »Warst du mal bei dem
El-Matador
-Stand in East Hollywood?«
»Nein, wo steht der?«
»An der Ecke Western und Lex. Das Essen hier kann sich zwar durchaus sehen lassen, aber an den
Matador
kommt es nicht ran. Er ist aber nur abends da, und abends schmeckt sowieso alles besser.«
»Wie kommt es eigentlich, dass die Western Avenue in
East
Hollywood ist?«
»Keine Ahnung, ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen. Aber wenn du nächstes Mal nach dem Dienst in der Gegend dort oben bist, solltest du mal das
El Matador
ausprobieren, und dann sag mir, wie du es findest.«
Bosch wurde bewusst, dass er nicht mehr beim
El-Matador
-Imbisswagen gewesen war, seit seine Tochter bei ihm wohnte. Er war damals der Auffassung gewesen, in oder neben seinem Auto zu essen und das Essen an einem Stand zu kaufen wäre nichts für sie. Inzwischen war das vielleicht anders. Er konnte sich vorstellen, dass es ihr sogar Spaß machen würde, und nahm sich vor, sie am Wochenende mal zum
El Matador
mitzunehmen.
»Was machen wir jetzt wegen Pell?«, fragte Chu.
Abrupt in die Probleme der Gegenwart zurückgeholt, erklärte Bosch seinem Partner, dass er den wahren Grund ihres Interesses an Clayton Pell nicht sofort durchblicken lassen wolle. In dem Verfahren gebe es noch zu viele Unbekannte. Er wolle sich zunächst nur vergewissern, dass Pell da war, wo er sein sollte, einen
Weitere Kostenlose Bücher