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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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vorzubeugen.«
    Bosch merkte, dass Stone ihre Fragen beleidigend fand. Den ersten falschen Schritt hatten sie bereits gemacht. Er wollte diese Frau nicht gegen sich aufbringen. Er wollte, dass sie mit ihnen kooperierte.
    »Entschuldigung«, sagte er deshalb, »damit wollte ich keineswegs Zweifel am Erfolg Ihrer Bemühungen äußern. Ich musste dabei nur an die speziellen Gegebenheiten der Straftat denken, wegen der wir hier ermitteln.«
    Bosch stellte sich ans Fenster und blickte in den Innenhof.
    »Welcher ist Clayton Pell?«
    Stone kam an seine Seite und deutete.
    »Der mit der Glatze, da rechts drüben. Das ist er.«
    »Wann hat er sich den Kopf rasiert?«
    »Vor ein paar Wochen. Wann war der Übergriff, dessentwegen Sie ermitteln?«
    Bosch drehte sich zu ihr und sah sie an.
    »Davor.«
    Sie sah ihn an und nickte. Sie hatte verstanden. Er war hier, um Fragen zu stellen, nicht, um welche gestellt zu bekommen.
    »Sie sagen, er hat einen Job. Was macht er?«
    »Er arbeitet im Grande Mercado oben an der Roscoe. Auf dem Parkplatz. Einkaufswagen einsammeln, Abfallkörbe leeren, solche Sachen. Sie zahlen ihm fünfundzwanzig Dollar am Tag. Das reicht gerade für Zigaretten und Chips. Danach ist er nämlich süchtig.«
    »Von wann bis wann arbeitet er?«
    »Das ist von Tag zu Tag verschieden. Seine Arbeitszeiten sind im Markt ausgehängt. Heute war er früh eingeteilt. Er ist gerade zurückgekommen.«
    Es war gut zu wissen, dass der Plan im Markt aushing. Das wäre hilfreich, wenn sie später woanders als im Buena-Vista-Zentrum Kontakt mit Pell aufnehmen wollten.
    »Doktor Stone, ist Pell einer Ihrer Patienten?«
    Sie nickte. »Er hat jede Woche vier Sitzungen bei mir. Er ist aber auch bei anderen Therapeuten.«
    »Was können Sie mir über ihn sagen?«
    »Über unsere Sitzungen darf ich Ihnen nichts erzählen. An die ärztliche Schweigepflicht bin ich sogar in so einer Situation gebunden.«
    »Das ist mir durchaus klar, aber die Beweislage in unserem Fall deutet darauf hin, dass er ein neunzehnjähriges Mädchen entführt, vergewaltigt und stranguliert hat. Ich muss unbedingt wissen, wie der Mann tickt, der da draußen sitzt. Ich muss …«
    »Moment.« Sie hob die Hand, um ihn zu bremsen. »Ein neunzehnjähriges
Mädchen,
sagen Sie?«
    »Ja. Seine DNA wurde an ihr gefunden.«
    Wieder keine Lüge, aber nicht die ganze Wahrheit.
    »Das ist unmöglich.«
    »Was heißt hier unmöglich? Das ist eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, die keinerlei Zweifel zulässt. Sein …«
    »In diesem Fall offensichtlich schon. Clayton Pell hat kein neunzehnjähriges Mädchen vergewaltigt. Zuallererst ist er homosexuell. Und pädophil. Fast alle Männer hier sind das. Sie wurden wegen Sexualstraftaten gegen Kinder verurteilt. Und zweitens wurde er während seiner Haft von einer Gruppe von Häftlingen kastriert. Clayton Pell kann also unmöglich Ihr Verdächtiger sein.«
    Bosch hörte seinen Partner laut einatmen. Aber auch für ihn war die Auskunft der Ärztin ein Schock, zumal sie ihn an seine Gedanken bei ihrer Ankunft in der Einrichtung erinnerten.
    »Claytons Störung besteht darin, dass er auf präpubertäre Jungen fixiert ist«, fuhr Stone fort. »Es wundert mich, ehrlich gestanden, ein wenig, dass Sie sich nicht besser vorbereitet haben, bevor Sie hierhergekommen sind.«
    Boschs Gesicht färbte brennende Verlegenheit, als er sie ansah. Abgesehen davon, dass sein Plan gründlich in die Hose gegangen war, häuften sich auch die Anzeichen, dass mit dem Fall Lily Price einiges im Argen lag.
    Während Bosch noch überlegte, wie er seinen Patzer ausbügeln könnte, platzte er mit einer Frage heraus.
    »Präpubertär … meinen Sie damit Achtjährige? Zehnjährige? Warum diese Altersstufe?«
    »Darauf darf ich nicht näher eingehen«, sagte Stone. »Hier kommen wir auf vertrauliches Terrain.«
    Bosch kehrte ans Fenster zurück und schaute zu Clayton Pell hinaus. Er saß aufrecht auf seinem Stuhl und schien dem Gespräch aufmerksam zu folgen. Er war keiner von denen, die ihr Gesicht verbargen, und äußerlich war ihm das Trauma, das er erlitten hatte, nicht anzusehen.
    »Weiß das jeder in der Runde da draußen?«
    »Nein, das weiß nur ich, und ich hätte es eigentlich auch Ihnen nicht sagen dürfen. Für die meisten Männer hier haben die Gruppensitzungen großen therapeutischen Wert. Deshalb kommen sie auch her. Und deshalb bleiben sie.«
    Bosch hätte dagegenhalten können, dass sie wegen der Unterkunft und des Essens blieben.

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