Der Widersacher
worden, aber für die dritte Tat hatte er sechs Jahre seiner ursprünglich zehnjährigen Haftstrafe im Corcoran State Prison verbüßt, wo seine Mithäftlinge so barbarisch Gerechtigkeit an ihm geübt hatten.
Bosch las sich durch die Einzelheiten der Straftaten. In jedem Fall war das Opfer ein zwischen acht und zehn Jahre alter Junge gewesen. Das erste Opfer war der Sohn eines Nachbarn. Das zweite war ein Junge, den Pell auf einem Spielplatz einfach an der Hand genommen und in eine nahe gelegene Toilette geführt hatte. Bei der dritten Straftat hatte er sich auf die Lauer gelegt und sein Vorgehen sorgfältig geplant. Das Opfer war ein Junge, der nach der Schule von der Haltestelle des Schulbusses nach Hause ging – eine Strecke von lediglich drei Häuserblocks. Pell hielt mit seinem Van neben ihm an, zeigte ihm eine Dienstmarke und machte ihm weis, er sei vom Sicherheitsdienst der Schule und müsse ihn nach Hause bringen, weil es in der Schule einen Vorfall gegeben hätte, über den er seine Eltern benachrichtigen müsse. Der Junge gehorchte und stieg zu ihm ins Auto. Pell fuhr zu einer Waldlichtung, wo er im Auto alle möglichen sexuellen Handlungen an dem Jungen beging, bevor er ihn freiließ und wegfuhr.
Er hinterließ keine DNA -Spuren an seinem Opfer und wurde nur gefasst, weil er, als er sich vom Tatort entfernte, bei Rot über eine Kreuzung gefahren war und dabei geblitzt wurde. Und da der Junge, der völlig aufgewühlt durch die Gegend lief, nur wenige Minuten später ein paar Straßen weiter entdeckt wurde, wurde Pell wegen seiner Vorstrafen sofort als Verdächtiger eingestuft. Als ihn das Opfer bei einer Gegenüberstellung identifizierte, wurde Anklage gegen ihn erhoben. Da jedoch die Gefahr bestand, dass die Identifizierung durch einen Neunjährigen vor Gericht angefochten würde, bot man Pell einen Deal an. Er bekannte sich schuldig und bekam nur zehn Jahre. Wahrscheinlich glaubte er, bei diesem Deal relativ gut weggekommen zu sein, bis ihn mehrere Mitgefangene in der Wäscherei von Corcoran überfielen und mit einem selbstgebastelten Messer kastrierten.
Bei jedem dieser Strafverfahren war Pell im Zuge einer sogenannten PSI oder Pre-Sentence Investigation, einer Untersuchung vor dem Urteilsspruch, also einer psychologischen Evaluierung unterzogen worden. Erfahrungsgemäß, wusste Bosch, sattelten diese Untersuchungen jedoch meistens aufeinander auf. Die Gutachter waren notorisch überlastet und verließen sich häufig auf die beim ersten Mal getroffene Einschätzung. Deshalb konzentrierte sich Bosch vor allem auf das PSI -Gutachten, das vor Pells erstem Strafverfahren wegen Exhibitionismus erstellt worden war.
Dieses Gutachten bescheinigte Pell hochgradig traumatisierende Kindheitserfahrungen. Seine heroinabhängige Mutter hatte ihn als kleinen Jungen regelmäßig in Dealerwohnungen und Fixertreffs mitgeschleppt, wo sie ihren Stoff häufig mit sexuellen Handlungen bezahlte, die sie mit den Dealern im Beisein ihres Sohns vollzog. Der Junge besuchte weder regelmäßig die Schule noch hatte er jemals so etwas wie ein festes Zuhause. Seine Mutter war ständig mit ihm unterwegs und lebte in Hotels und Motels und mit Männern, die immer nur kurze Zeit bei ihnen blieben.
Besonders gründlich studierte Bosch einen langen Absatz, der sich mit einer Phase in Pells Leben befasste, in der dieser acht Jahre alt gewesen war. Pell schilderte dem Gutachter eine Wohnung, in der er seiner Meinung nach die längste zusammenhängende Zeit in seiner Kindheit unter einem Dach verbracht hatte. Seine Mutter hatte sich damals mit einem gewissen Johnny zusammengetan, der sie für Sex benutzte und sich von ihr Drogen beschaffen ließ. Wenn die Mutter anschaffen ging, wurde der Junge oft in Johnnys Obhut zurückgelassen. Manchmal blieb die Mutter tagelang weg, und Johnny wurde frustriert und wütend. Dann sperrte er den Jungen entweder lange in einen begehbaren Kleiderschrank oder schlug ihn brutal, häufig mit einem Gürtel. Dem Gutachten zufolge hatte Pell an Rücken und Gesäß immer noch Narben, die seine Darstellung bestätigten. Waren schon diese Misshandlungen schlimm genug, ging der Mann irgendwann dazu über, den Jungen sexuell zu missbrauchen. Er zwang ihn zu oralem Sex und drohte ihm mit noch drastischeren Strafen, sollte er seiner Mutter oder sonst jemandem etwas davon erzählen.
Wenig später trennte sich Pells Mutter von Johnny, und das Martyrium des Jungen hatte ein Ende. Aber als er dreizehn Jahre alt war und
Weitere Kostenlose Bücher