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Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Mal, wenn er das Notizbuch aufklappte, um sich etwas zu notieren, bekamen die Befragten die Dienstmarke zu sehen und damit vor Augen geführt, dass sie einen Repräsentanten der Staatsmacht vor sich hatten.
    »Worum geht es bei dem Ganzen eigentlich?«, fragte Pell mit einer hohen, nasalen Stimme. »Doc Stone wollte mir absolut nichts erzählen.«
    Ihm sagte Stone nicht, sie nicht Doc zu nennen.
    »Es geht um einen Mord, Clayton«, sagte Bosch. »Er liegt schon sehr lange zurück. Als Sie erst acht Jahre alt waren.«
    »Sorry, aber von einem Mord weiß ich nichts.«
    Die Stimme war schrill und durchdringend, und Bosch fragte sich, ob sie schon immer so gewesen war oder erst seit dem Überfall im Gefängnis.
    »Ich weiß. Und deshalb möchte ich auch gleich von Anfang an klarstellen, dass Sie dieser Tat in keiner Weise verdächtigt werden.«
    »Warum kommen Sie dann überhaupt zu mir?«
    »Das ist eine gute Frage, Clayton, und ich will sie Ihnen ganz ehrlich beantworten. Ich habe Sie hierhergebeten, weil Ihr Blut und Ihre DNA an der Leiche des Opfers gefunden wurden.«
    Pell schoss kerzengerade von seinem Stuhl hoch.
    »Dann gehe ich jetzt.«
    Er drehte sich in Richtung Tür.
    »Clay!«, rief Stone. »Hören Sie ihm erst zu! Sie sind kein Verdächtiger! Sie waren acht Jahre alt. Er möchte nur wissen, was Sie darüber wissen. Bitte!«
    Pell schaute auf sie hinab, deutete aber auf Bosch.
    »Sie können diesem Typen vielleicht trauen, aber ich nicht. Ein Cop tut niemand einen Gefallen. Nur sich selbst.«
    Stone stand auf, um ihn umzustimmen. »Clayton, bitte. Auf einen Versuch können Sie es doch ankommen lassen.«
    Widerstrebend setzte sich Pell wieder. Auch Hannah Stone nahm wieder Platz. Pell sah nur sie an und würdigte Bosch weiterhin keines Blickes.
    »Wir glauben, dass der Mörder Ihr Blut an sich hatte«, sagte Bosch. »Und dass es von ihm dann irgendwie auf das Opfer gelangt ist. Wir glauben nicht, dass Sie etwas mit der Tat zu tun hatten.«
    »Bringen wir’s doch lieber gleich hinter uns.« Pell hielt Bosch die Handgelenke entgegen, wie um sich von ihm Handschellen anlegen zu lassen.
    »Clay, bitte«, sagte Stone.
    Pell wedelte in einer »Mir reicht’s!«-Geste mit den Händen. Er war so klein, dass er sich auf dem Stuhl zur Seite drehen und beide Beine über die linke Armstütze legen konnte, um Bosch wie ein Kind, das seine Eltern mit Nichtbeachtung strafte, die kalte Schulter zu zeigen. Als er die Arme über der Brust verschränkte, konnte Bosch im Nacken den oberen Rand eines Tattoos unter seinem Hemdkragen hervorspitzen sehen.
    »Clayton«, sagte Stone streng. »Wissen Sie nicht mehr, wo Sie mit acht waren? Wissen Sie nicht mehr, was Sie mir immer wieder erzählt haben?«
    Pell senkte das Kinn auf die Brust und lenkte ein.
    »Klar weiß ich das noch.«
    »Dann beantworten Sie Detective Boschs Fragen.«
    Er bockte noch zehn Sekunden, bevor er nickte.
    »Okay. Was wollen Sie wissen?«
    Bosch wollte ihm gerade eine Frage stellen, als das Handy in seiner Hosentasche zu summen begann. Das hörte Pell.
    »Wenn Sie da jetzt drangehen, gehe ich aber echt.«
    »Keine Angst, ich hasse Handys.«
    Bosch wartete, bis das Summen verstummte, und fuhr fort.
    »Clayton, ich würde gern von Ihnen wissen, wo Sie waren und wie Ihr Leben ausgesehen hat, als Sie acht waren.«
    Pell drehte sich in seinem Stuhl, um Bosch anzusehen.
    »Der Typ, bei dem wir damals gelebt haben, war eine richtig widerliche fiese Sau. Er hat mich regelmäßig verdroschen, wenn meine Mutter nicht da war.«
    Er zögerte. Bosch wartete eine Weile, dann hakte er nach.
    »Was sonst noch, Clayton?«
    »Na ja, und dann meinte er, mich bloß zu verprügeln, wäre noch nicht genug. Er meinte, ich sollte ihm auch noch einen blasen. Ein paarmal die Woche. So hat mein Leben damals ausgesehen, Detective.«
    »Und dieser Mann hieß Johnny?«
    »Nein, so nenne ich ihn nur. Jetzt, meine ich. Weil er mich an Jack Nicholson in diesem Stephen-King-Film erinnert. Dieser durchgeknallte ›Hier ist Johnny‹-Typ, der dem Jungen ständig mit einer Axt hinterherrennt. Genauso war er damals für mich, bloß ohne die Axt. Aber eine Axt hat der gar nicht gebraucht.«
    »Wie hat er richtig geheißen? Wissen Sie das?«
    »Nein, das hab ich nie gewusst.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein, wirklich nicht. Dieser Drecksau habe ich zu verdanken, dass ich so verkorkst bin. Wenn ich seinen Namen gewusst hätte, könnte ich mich daran erinnern. Das Einzige, was ich noch weiß, ist sein

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