Der Widersacher
Kerl mit Ihnen gesprochen. Ich möchte nicht, dass Sie mir diese vertraulichen Dinge verraten. Ich will selbst mit ihm reden.«
»Ich weiß, und ich kann Sie auch nicht daran hindern, mit ihm zu sprechen. Das muss er ganz allein entscheiden. Entweder er redet mit Ihnen, oder er tut es nicht. Meine einzige Sorge ist – er ist ziemlich labil, wie Sie sich sicher …«
»Sie können ihn dazu bringen, mit mir zu reden, Hannah. Sie können ihm erklären, dass es ihm helfen wird.«
»Sie meinen, ich soll ihm was vormachen? Das werde ich sicher nicht tun.«
Weil sie nicht an ihren Platz zurückgegangen war, sondern immer noch stand, stand auch Bosch auf.
»Wer sagt denn, dass Sie ihm was vormachen sollen? Sie sollen ihm die Wahrheit sagen. Es wird ihm helfen, diesen Kerl aus den Schatten der Vergangenheit zu zerren. Wie in einer Art Exorzismus. Vielleicht weiß er sogar, dass dieser Typ Mädchen umgebracht hat.«
»Meinen Sie, es gab nicht nur diese eine?«
»Keine Ahnung, aber Sie haben doch die Fotos gesehen. Das sieht nicht nach einer einmaligen Geschichte aus, so in dem Stil: Jetzt habe ich mich abreagiert, und nun führe ich wieder ein normales Leben. Das war die Tat eines Triebtäters, und Triebtäter hören nicht einfach auf. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Da spielt es auch keine Rolle, dass das Ganze schon vor zweiundzwanzig Jahren passiert ist. Wenn dieser Johnny immer noch sein Unwesen treibt, muss ich ihn finden. Und Clayton Pell ist der Schlüssel.«
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13
C layton Pell erklärte sich bereit, mit Bosch zu reden, aber nur unter der Bedingung, dass Dr. Stone dabei war. Damit hatte Bosch kein Problem. Er vermutete sogar, Stones Anwesenheit könnte hilfreich sein. Allerdings wies er sie darauf hin, dass Pell, wenn es zu einem Prozess käme, als Zeuge auftreten und er das Gespräch deshalb streng linear und methodisch führen müsste.
Ein Wärter führte Pell in das Sprechzimmer, in dem drei Stühle aufgestellt worden waren, zwei auf einer Seite, einer auf der anderen. Bosch stellte sich Pell vor und schüttelte ihm ohne Zögern die Hand. Pell war auffallend schmächtig, höchstens eins sechzig groß und fünfzig Kilo schwer. Bosch wusste, dass Menschen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden, oft ein gehemmtes Wachstum hatten. Ein gestörtes psychisches Wachstum wirkte sich auf das körperliche Wachstum aus.
Bosch deutete auf Pells Platz und fragte ihn freundlich, ob er etwas brauchte.
»Eine Zigarette wäre vielleicht nicht schlecht«, sagte Pell.
Als er sich setzte, zog er die Beine auf die Sitzfläche hoch und verschränkte sie dort. Das hatte etwas Kindliches an sich.
»Gegen eine Zigarette hätte ich jetzt auch nichts«, sagte Bosch, »aber wir wollen heute lieber nicht gegen die Vorschriften verstoßen.«
»Schade.«
Stone hatte vorgeschlagen, die drei Stühle zwecks der zwangloseren Atmosphäre um einen Tisch aufzustellen, aber das hatte Bosch abgelehnt. Außerdem ordnete er ihre Plätze so an, dass er und Stone links und rechts von Pells zentraler Blicklinie saßen. Das hatte zur Folge, dass er ständig zwischen ihnen hin und her schauen musste. So konnte Bosch anhand von Pells Augenbewegungen gut die Aufrichtigkeit und den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen abschätzen. In Stones Augen war Pell eine tragische Figur, aber Bosch hegte keine derartigen Sympathien für ihn. Daran änderten auch Pells traumatische Vergangenheit und seine kindlichen Körpermaße nichts. Er war jetzt ein Triebtäter. Da brauchte man nur den neunjährigen Jungen zu fragen, den er in seinen Van gezerrt hatte. Bosch hatte vor, sich ständig vor Augen zu halten, dass sich Triebtäter verstellten, dass sie logen und nur darauf warteten, dass sich ihr Gegenüber eine Blöße gab. Er würde bei Pell keinen Fehler machen.
»Dann fangen wir doch gleich an«, sagte Bosch. »Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mir während unseres Gesprächs gern Notizen machen.«
»Meinetwegen«, sagte Pell.
Bosch zog sein Notizbuch heraus. In seine Lederhülle war die Dienstmarke eines LAPD -Detectives geprägt. Es war ein Geschenk seiner Tochter, die es in Hongkong vom Vater einer Freundin, der in der Lederbranche tätig war, eigens für ihn hatte anfertigen lassen. Die Marke trug sogar Boschs Dienstnummer – 2997 . Maddie hatte es ihm zu Weihnachten geschenkt. Es war eins der Dinge, an denen er ganz besonders hing, zum einen, weil es von ihr war, aber auch, weil es eine wichtige Funktion erfüllte. Jedes
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