Der Widersacher
seine zierliche Gestalt Lügen strafte. Und sie blieb nicht ohne Wirkung auf Bosch. Er merkte, welche Wirkung das haben konnte, wenn es bei einem Prozess aus ihm hervorbrach. Wenn er das vor den Geschworenen genauso hinausschrie, wäre das für die Verteidigung verheerend.
»Clayton, ich werde diesen Kerl finden«, sagte Bosch. »Und Sie werden die Gelegenheit erhalten, ihm das ins Gesicht zu sagen. Vielleicht hilft Ihnen das sogar für Ihr künftiges Leben.«
»Für mein künftiges Leben? Wow, super. Vielen Dank.«
Der Sarkasmus war unüberhörbar. Bosch wollte gerade einen Neuanfang in Aussicht stellen, als jemand laut an die Tür klopfte. Stone ging sie öffnen. Es war eine andere Therapeutin, die Stone etwas zuflüsterte, woraufhin diese sich Bosch zuwandte.
»Am Eingang sind zwei Polizisten. Sie haben nach Ihnen gefragt.«
Bosch bedankte sich bei Pell und sagte, er würde sich wieder bei ihm melden. Dann ging er hinaus zum Eingangstor und holte währenddessen sein Handy hervor. Er sah, dass er vier Anrufe nicht beantwortet hatte, einen von seinem Partner, zwei von einer 213 -Nummer, die er nicht kannte, und den letzten von Kiz Rider.
Die zwei Streifenpolizisten waren von der Van Nuys Division. Sie sagten, das Büro des Polizeichefs habe sie geschickt.
»Sie sind nicht ans Telefon oder den Funk in Ihrem Auto gegangen«, sagte der Ältere. »Sie sollen sich bei Lieutenant Rider im Büro des Polizeichefs melden. Sie sagt, es ist dringend.«
Bosch bedankte sich und erklärte den beiden, er habe gerade ein wichtiges Gespräch geführt und deshalb sein Handy ausgeschaltet.
Sobald sich die zwei Polizisten entfernt hatten, rief er Rider an. Sie ging sofort dran.
»Harry, warum gehst du nicht ans Telefon?«
»Weil ich gerade mitten in einem Gespräch war. Normalerweise nehme ich da keine Anrufe entgegen. Wie hast du mich gefunden?«
»Mit Hilfe deines Partners, der im Gegensatz zu dir ans Telefon
geht.
Was hat dieses Rehabilitationszentrum mit dem Fall Irving zu tun?«
Er kam um die Antwort nicht herum.
»Nichts. Es ist ein anderer Fall.«
Daraufhin trat erst einmal längere Stille ein, in der sie wahrscheinlich ihre Frustration und Wut auf ihn verarbeitete.
»Harry, der Polizeichef hat dir gesagt, die Irving-Sache vorrangig zu bearbeiten. Warum musst du dann …«
»Hör zu, ich warte auf die Obduktion. Solange sie die nicht machen, kann ich in der Irving-Sache nichts weiter unternehmen.«
»Na, dann rate mal.«
Jetzt begriff Bosch, woher die zwei 213 -Anrufe, die er verpasst hatte, gekommen waren.
»Was?«
»Die Autopsie hat vor einer halben Stunde begonnen. Wenn du sofort losfährst, bekommst du vielleicht das Ende noch mit.«
»Ist Chu dort?«
»Soviel ich weiß, ja. Sollte er ja auch.«
»Bin schon unterwegs.«
Beschämt und ohne weitere Diskussionen beendete er das Gespräch.
[home]
14
B is Bosch einen Kittel, eine Gesichtsmaske und Handschuhe übergezogen hatte und den Obduktionsraum betrat, war Dr. Borja Toron Antons bereits dabei, George Irvings Leiche mit dickem gewachsten Zwirn wieder zuzunähen.
»Tut mir leid, aber ist ein bisschen spät geworden«, entschuldigte sich Bosch.
Antons deutete auf das Mikrophon, das über dem Obduktionstisch von der Decke hing, und Bosch wurde sein Fehler bewusst. Die mündlichen Befunde des obduzierenden Arztes wurden aufgezeichnet, und jetzt war offiziell festgehalten, dass Bosch fast die ganze Autopsie versäumt hatte. Sollte der Fall je vor Gericht verhandelt werden, konnte ein Strafverteidiger deswegen gegenüber den Geschworenen einiges hineininterpretieren. Daran würde auch nichts ändern, dass Chu von Anfang an anwesend gewesen war. Der Umstand, dass der leitende Ermittler nicht da gewesen war, wo er hätte sein sollen, konnte in den Händen des richtigen Anwalts rasch einen negativen, sogar nach Mauschelei riechenden Beigeschmack bekommen.
Bosch stellte sich neben Chu, der mit verschränkten Armen an einem Arbeitstisch am Fußende des Obduktionstischs lehnte. Er war etwa so weit von der Obduktion entfernt, wie man nur sein konnte, um trotzdem noch behaupten zu können, ihr beigewohnt zu haben. Selbst durch den Gesichtsschutz hindurch konnte Bosch erkennen, dass Chu ziemlich mitgenommen war. Er hatte Bosch einmal gestanden, dass die Einheit Offen-Ungelöst genau das Richtige für ihn war, weil er zwar Mordfälle lösen wollte, aber Probleme damit hatte, bei Obduktionen zuzusehen. Er konnte den Anblick aufgeschnittener menschlicher
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