Der Widersacher
Körper nicht ertragen. Deshalb waren die kalten Fälle ideal für ihn. Er studierte zwar Obduktionsbefunde, musste aber nicht an den Obduktionen selbst teilnehmen und konnte trotzdem Morde bearbeiten.
Eigentlich wollte Bosch ihn fragen, ob bei der Sektion irgendetwas Interessantes herausgekommen war, beschloss aber, zu warten und Antons selbst – und wenn das Band ausgeschaltet war – zu fragen. Deshalb studierte er den Arbeitstisch im Rücken des Pathologen und zählte die Glasröhrchen, die in einem Gestell auf ihre Untersuchung warteten. Insgesamt waren es fünf, gefüllt mit Irvings Blut. Das hieß, Antons wollte eine vollständige toxikologische Analyse durchführen. Bei einer Standardobduktion wurde das Blut auf die zwölf gebräuchlichsten Drogenarten untersucht. Wenn das County allerdings keine Kosten scheute oder der Verdacht bestand, dass eine ungewöhnliche Droge im Spiel sein könnte, wurde die Analyse auf sechsundzwanzig Arten ausgeweitet. Und dafür waren fünf Röhrchen mit Blut erforderlich.
Antons beendete die Obduktion, indem er die Schließung des Y-Schnitts schilderte. Dann zog er einen seiner Handschuhe aus und schaltete das Mikrophon aus.
»Schön, dass Sie es doch noch geschafft haben, Detective«, bemerkte er sarkastisch. »Und? Wie war Ihre Runde?«
Bosch stieg darauf ein: »Ich habe zwei unter Par gespielt. Aber mein Partner ist doch sicher auch ohne mich klargekommen. Oder, Partner?«
Er gab Chu einen kräftigen Schlag auf die Schulter. Indem er ihn direkt mit
Partner
ansprach, übermittelte er ihm eine verschlüsselte Botschaft. Als die beiden zu einem Team zusammengestellt worden waren, hatten sie vereinbart, den anderen zum Zeichen dafür, dass einer von ihnen einen Bluff versuchte, mit
Partner
anzusprechen. Dieses Codewort bedeutete, dass der andere mitspielen sollte.
Aber diesmal stieg Chu nicht darauf ein.
»Von wegen, Mann. Ich habe dich die ganze Zeit zu erreichen versucht. Aber du bist nicht drangegangen.«
»Dann hast du’s wahrscheinlich nicht ernsthaft genug versucht.«
Bosch bedachte Chu mit einem Blick, der fast seine Plastikschutzmaske zum Schmelzen brachte. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Antons zu.
»Wie ich sehe, machen Sie die vollständige Toxi-Analyse, Doc. Halte ich für vernünftig. Sonst irgendwas, das ich wissen sollte?«
»Das war nicht meine Entscheidung. Anweisung von oben. Ich habe Ihren Partner bereits auf einen Punkt aufmerksam gemacht, dem Sie vielleicht weiter nachgehen sollten.«
Bosch sah Chu an und dann die Leiche auf dem Tisch.
»Ein Punkt, dem wir weiter nachgehen sollten? Redet er hier von polizeilichen Aufgaben?«
»Der Tote hat hinten an der rechten Schulter so was wie einen Kratzer oder eine Aufschürfung«, antwortete Chu. »Sie ist aber keine Folge des Sturzes, weil er mit dem Gesicht nach unten gelandet ist.«
»Es ist eine Ante-mortem-Verletzung«, fügte Antons hinzu.
Bosch stellte sich näher an den Tisch. Ihm wurde bewusst, dass er den Rücken des Opfers bislang noch nicht zu sehen bekommen hatte, weil er erst sehr spät am Tatort eingetroffen war und George Irving zu diesem Zeitpunkt bereits von Van Atta und seinem Spurensicherungsteam auf den Rücken gedreht worden war. Niemand, weder Van Atta noch Fass und Kiste, hatte ihm etwas von einer Ante-mortem-Verletzung auf dem Rücken erzählt.
»Kann ich sie mal sehen?«, fragte er.
»Wenn es unbedingt sein muss«, brummte Antons. »Wenn Sie rechtzeitig hergekommen wären, hätten Sie sie schon gesehen.«
Er beugte sich über einen Arbeitstisch und zog ein neues Paar Handschuhe aus einer Box.
Bosch half ihm, die Leiche auf dem Tisch umzudrehen. Ihr Rücken war von der blutigen Flüssigkeit bedeckt, die sich auf der Tischplatte mit den leicht erhöhten Rändern gesammelt hatte. Antons zog einen von der Decke hängenden Schlauch herab und spritzte die Leiche ab. Bosch sah die Verletzung sofort. Sie befand sich oberhalb des Schulterblatts und wies ein deutlich erkennbares Muster auf, vier sichelförmige, etwa fünf Zentimeter lange Hautaufschürfungen, die jeweils in zwei bis drei Zentimeter Abstand voneinander lagen.
Bosch überkam der Schock plötzlichen Begreifens. Er wusste, Chu war zu jung und unerfahren, um das Muster zu kennen. Antons konnte es ebenfalls nicht kennen. Es war gerade mal zehn Jahre her, dass er aus Madrid in die Staaten gekommen war, um an der medizinischen Fakultät der UCLA seinen Abschluss zu machen.
»Haben Sie ihn auf Petechien
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