Der Widersacher
Käfig. Eingesperrt und so wütend, dass er am liebsten seine Pranke durch die Gitterstäbe gestreckt und nach dem Erstbesten, was gerade vorbeikam, geschlagen hätte.
Er stand auf und ging zu Tim Marcias Schreibtisch.
»Ist Duvall da?«
»Ja, in ihrem Büro.«
»Kann ich reingehen? Ich hab ein paar Neuigkeiten für sie.«
»Klar, nur zu – wenn du sie dazu bringen kannst, aufzumachen.«
Bosch klopfte an die Tür seiner agoraphobischen Vorgesetzten. Nach einer Weile hörte er Duvall »Herein!« rufen, und er betrat das Büro. Sie saß an ihrem Schreibtisch und arbeitete am Computer. Sie blickte auf, um zu sehen, wer es war, tippte aber weiter.
»Was gibt’s, Harry?«
»Was es gibt, ist, dass ich heute einen Verdächtigen im Irving-Fall herbringen werde.«
Das ließ sie aufschauen.
»Am besten wäre natürlich, wenn er freiwillig mitkäme. Aber wenn nicht, verhaften wir ihn.«
»Danke, dass Sie mich auf dem Laufenden halten.«
Das war nicht als aufrichtiger Dank gemeint. Bosch hatte ihr schon vierundzwanzig Stunden lang nichts mehr über die Ermittlungen erzählt, und in dieser Zeit hatte sich einiges getan. Er zog sich den Stuhl vor ihrem Schreibtisch heran und setzte sich. Duvall bekam die Kurzfassung zu hören, und er brauchte zehn Minuten, um zum Anruf der Reporterin zu kommen.
»Tut mir leid, dass ich Sie nicht auf dem Laufenden gehalten habe«, sagte er. »Es ging nur alles sehr schnell. Das Büro des Chief ist auf dem neuesten Stand – ich habe bei der Beerdigung heute mit seiner Adjutantin gesprochen – und sie geben dem Stadtrat Bescheid.«
»Na, dann muss ich ja fast dankbar sein, dass Sie mich nicht eingeweiht haben. Jetzt komme ich wenigstens nicht als Verdächtige für das Informationsleck in Frage. Schon irgendeine Idee, wer dahinterstecken könnte?«
»Ich nehme an, es war Irving oder jemand aus seinem Lager.«
»Aber was hätte er davon? Es spränge nichts für ihn dabei heraus, eher im Gegenteil.«
Es war das erste Mal, dass Bosch dieses Argument in Betracht zog. Lieutenant Duvall hatte recht. Wieso sollte Irving Informationen an die Presse weiterleiten, die ihn früher oder später in den Ruch der Korruption brächten, wenn nicht sogar Schlimmeres. Das ergab keinen Sinn.
»Gute Frage«, sagte Bosch. »Auf die ich aber keine Antwort habe. Ich weiß nur, dass es irgendwie auf die andere Straßenseite gelangt ist.«
Duvall schaute auf die Jalousie des Fensters, das sich auf das Times Building öffnete. Es war, als hätte sich ihre Paranoia bezüglich der lauernden Reporter bestätigt. Bosch stand auf. Was er sagen musste, hatte er gesagt.
»Wie sieht es mit Verstärkung aus, Harry?«, fragte Duvall. »Kriegen Sie und Chu das allein geregelt?«
»Ich denke schon. McQuillen sieht uns ja nicht anrücken – und wie gesagt, wir möchten, dass er freiwillig mitkommt.«
Sie dachte kurz nach, dann nickte sie. »Okay, halten Sie mich auf dem Laufenden. Diesmal aber auch wirklich.«
»Sicher.«
»Das heißt, heute Abend.«
»Alles klar.«
Bosch kehrte in sein Abteil zurück. Chu war immer noch nicht da.
Der Gedanke, das Leck könnte nicht in Irvings Lager zu suchen sein, ließ Bosch nicht mehr los. Damit kam nur noch das Büro des Polizeichefs in Frage, und das wiederum hieße, dass man dort Schritte unternahm, von denen Kiz Rider entweder nichts wusste oder ihm nichts erzählte. Er setzte sich an seinen Computer und ging auf die Internetseite der
Times.
Er gab Emily Gomez-Gonzmart in das Suchfenster ein und drückte die Eingabetaste.
Wenig später hatte er eine ganze Seite voller Treffer – die Überschriften aller Artikel der Reporterin in zeitlicher Reihenfolge, die aktuellsten zuerst. Er scrollte die Liste durch und stellte bald fest, dass Politik und städtische Belange nicht zu GoGos Ressort gehörten. Sie hatte im vergangenen Jahr nichts geschrieben, was in irgendeiner Weise mit Irvin oder George Irving zu tun hatte. Sie schien auf Features über spektakuläre Verbrechensfälle spezialisiert zu sein. Artikel, die sich mit den Nachwirkungen einer Straftat befassten, und ausführliche Darstellungen der Opfer und ihrer Familien. Bosch klickte ein paar davon an, las die ersten Absätze und kehrte zur Liste zurück.
Er scrollte durch die Artikel von mehr als drei Jahren, ohne auf etwas zu stoßen, was Gomez-Gonzmart in die Nähe einer Person gebracht hätte, die in den Fall George Irving verwickelt war. Doch dann stach ihm eine Überschrift von Anfang 2008 in die
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