Der Widerschein
Dummheit!
Zugegeben zu einem beachtlichen Preis; aber wer wusste, welchen Preis die Werke in Arnheim oder sogar in Amsterdam – oder in Paris, in London erbracht hätten.
London!
Während dieser Ort vor Gerlachs innerem Auge erschien, trat eine weitere Schwierigkeit hinzu, der er sich unverzüglich zuwenden musste!
Bros!
Er musste Bros benachrichtigen, bevor die ersten Gerüchte bei diesem ankämen und Bros letztendlich – Gerlach schauderte – ermutigen würden, die lange angekündigte Reise nach Amsterdam anzutreten.
Das musste er verhindern!
Unverzüglich!
Am besten, er band Bros vertraglich an sich, unter Umständen mit besserer Bezahlung – und er musste herausfinden, wer wirklich diese Zeichnungen schuf.
Alles andere war jetzt nebensächlich!
Gerlach atmete auf.
* * *
Trotz seines Wutausbruchs gelang es Bros noch am gleichen Tag – lange bevor die Meisterin abends heimkam, das Geld vorzeigte und einen erneuten Wutanfall in ihm hervorrief –, Ferdinand mit Pinsel, Öl und seiner persönlichen Farbpalette vertraut zu machen. Bros verwendete lediglich Braun-, Grün- und Grautöne, deren Herstellung der Meister bislang nicht einmal seiner Frau verraten hatte.
Ferdinand störte diese Geheimniskrämerei überhaupt nicht.
Schon bevor Bros die Erklärung bezüglich seiner Farbherstellung beenden konnte, hatte sein Lehrling bereits alle verfügbaren Werkzeuge nach Größe, Feinheit und Verwendungszweck umsortiert und wechselte diese beim Malen mit einer Behändigkeit aus, dass dem Meister vom Zusehen schwindelig wurde.
Wie aus dem Nichts kreierte Ferdinand aus der sehr überschaubaren Farbpalette unzählige neue Abtönungen, störte sich weder an den diffusen Lichtverhältnissen der Werkstatt noch an der groben Leinwand, die Bros seinem Lehrling großzügig zur Verfügung gestellt hatte.
Ferdinands Art zu malen verband sich für den Meister allerdings in keiner Weise mit den gängigen Regeln der Malerei; nicht so, wie Bros seinerzeit jenes kunstfertige Handwerk hatte erlernen müssen. Statt mit endlosen Skizzen einzelner Details zu beginnen, um diese dann nach und nach in eine größere Komposition von Personen, Themen und Symbolen einfließen zu lassen, wie Bros es heute noch tat, wenn er Zeit und Muße dafür fand – nein, Ferdinand, dieser Teufelskerl, der fing einfach an! Direkt auf der Leinwand! Wo und wie er wollte! Zudem stoppte er schließlich dermaßen überraschend, dass der Meister beim Anblick des plötzlich vollendeten Werks fast zu Tode erschrak.
Es war unglaublich, einfach unfassbar: Dieser Junge stellte alles, was Bros je an Könnerschaft gesehen und für brillant befunden hatte, weit in den Schatten.
Noch auffallender an den bald folgenden Bildern war allerdings, dass Ferdinand bis ins Detail genau das abbildete, was er vor sich hatte. Nichts wurde verbessert, umarrangiert oder durch Farben und Kontraste übermäßig betont. Er sog das Betrachtete gleich einem Atemzug ein und hauchte es unvermittelt und unverändert auf die Leinwand.
Wie er das anstellte, das war Bros ein Rätsel!
Sein Lehrling befolgte exakt die Anweisungen des Meisters, wenn der ihn hieß, dieses oder jenes zu erarbeiten – aber Ferdinands Bilder zeigten zugleich viel mehr: Bros meinte oft, einen Luftzug aus dem Bild zu spüren, ein Rascheln in den gezeichneten Zweigen zu hören, Schatten aus dem Rahmen tropfen zu sehen, geflüsterte Stimmen aus den angrenzenden Räumen zu vernehmen, die Konturen zu Formen wachsen zu sehen – Formen, die sich einfach nicht der Ebene des Blattes beugen wollten.
Tiefe und Räume, die er im wirklichen Leben selbst kaum noch wahrnahm.
Das waren keine Bilder mehr: das war ein Zugang in eine andere Welt, in die wirkliche Welt. Erst in Ferdinands Werken begannen all die Dinge um ihn herum zum Leben zu erwachen! Die Dinge, sie lebten und lachten und sangen und tanzten um ihn herum, sie versprühten Freude und Reichtum und Energie – Bros konnte nicht genug von Ferdinands Bilder bekommen.
Gebannt registrierte der Meister jede Bewegung seines Lehrlings.
Das einfache Zuschauen, wenn jemand anderes sein eigenes Handwerk ausübte, hatte Bros nie sehr behagt. Bei Ferdinand war der Meister jedoch insgeheim nicht nur dankbar, ihm über die Schulter schauen zu dürfen – dieser Umstand löste in ihm eine aufrichtige Euphorie aus.
Jedes neu begonnene Gemälde von Ferdinand versetzte den Meister in eine nie geahnte kindliche Vorfreude, jeder einzelne Pinselstrich wurde vom Meister
Weitere Kostenlose Bücher