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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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gelegentlich jene lästigen Geschöpfe, die ihm großes Kopfzerbrechen bereiten würden; ob sie diese nicht verschwinden lassen könne, mit einem Zauber oder einem Fluch – natürlich gegen Bezahlung und diskret, zweifellos.
    Im Nu brachte die Giannotti in Erfahrung, was man den fahrenden Völkern zahlen musste, damit diese Menschen fremde Kinder aufnahmen. Dann rechnete sie einen Gewinn für sich dazu und offenbarte dem Wachmann beim nächsten Mal, sie habe eine Vision gehabt, die Lösung für sein Problem sei ihr im Traum erschienen. Nur einmal im Monat sei so etwas möglich, bei Vollmond, ein schwieriger Zauber, sogar gefährlich – gegen eine entsprechende Entlohnung sei sie jedoch bereit, diese riskante Aufgabe regelmäßig auf sich zu nehmen.
    Von da an musste jeder der Wachleute von seinem Verdienst einen Teil abgeben – für einen guten Zweck, wie es hieß – die monatliche Bezahlung für Lucia Giannotti.
    Obwohl sie diese Arbeit schon etliche Male ausgeführt hatte, war der Giannotti nicht wohl, als sie sich nun gemeinsam mit Ferdinand in die Räumlichkeiten der Wache hineinwagte.
    Nicht nur, einen geschlossenen Raum betreten zu müssen und darin zu bleiben. Sondern auch noch ein Gespräch zu beginnen. Und nicht irgendein Gespräch, sondern über ganz alltägliche Dinge!
    Als wäre sie nicht die gefürchtete Hexe Lucia Giannotti, sondern eine ganz normale Person, die einer ganz gewöhnlichen Arbeit nachging!
    Nett war ihr Gesprächspartner gewesen. Er erkundigte sich bei ihr über das Wetter, gestand ihr seine Probleme bei der nächtlichen Wache und hörte respektvoll ihren Antworten zu. Dann hatte er der Giannotti zwei Sorgenkinder ausgehändigt, ohne das Wort Hexe oder Schlimmeres in den Mund zu nehmen. Zu guter Letzt hatte er ihr die Tür geöffnet, mit einer Fackel den Platz vor der Wache ausgeleuchtet und ihr obendrein einen guten Heimweg gewünscht. Dabei hatte er sogar ein wenig seinen Hut gehoben, ganz so, als würde er sich von einer lieben Person verabschieden.
    Nichts war geschehen.
    Nichts war kaputtgegangen, niemand war gestorben oder schwer verletzt worden, keine noch so kleine Katastrophe war eingetreten. Man hatte sie nicht einmal hinausgeworfen.
    Die Giannotti jubelte innerlich.
    Auf dem Rückweg ereignete sich jedoch das, was sie schon einmal in tiefe Verwirrung gestürzt hatte: Ferdinand und sie selbst, sie hielten sich erneut an den Händen.
    Wie konnte das geschehen? Hatte sie seine Hand ergriffen oder umgekehrt?
    Schon beim ersten Mal hatte die Giannotti eine gewisse Unruhe in sich beobachtet. Ein Unbehagen war von dieser Berührung ausgegangen. Nicht dass sie Ferdinand nicht mochte. Aber angefasst werden oder gleichermaßen seine Hand anzufassen – plötzlich löste das bei ihr einen starken Widerwillen aus. Lucia Giannotti fühlte sich nicht nur unwohl mit jener Berührung; sie fühlte sich von allen Seiten beobachtet, eingeengt, eingesperrt!
    In diesem schlichten Händedruck zwischen ihr und Ferdinand manifestierte sich ein Gefühl der Beklemmung, von nie gekannter Angst.
    Die Giannotti erschauderte.
    Das musste aufhören! Sofort!
    So schnell es ging, musste sie diesen kleinen Teufel loswerden! Dieser Ferdinand Meerten, der musste wieder fort, bloß weg von ihrer Hand, raus aus ihrem Leben! Sie, Lucia Giannotti, sie musste ihren eigenen Weg gehen – wenn es sein musste, dann eben auch allein und ohne Talisman. Für so eine Unerträglichkeit hatte sie ihn nicht bei sich aufgenommen.
    Eine solche einschneidende Veränderung, das kam für sie überhaupt nicht in Frage!
    * * *
    In sicherer Entfernung zur Stadt gab es Orte, an denen regelmäßig fahrendes Volk lagerte. Als ehrenwerter Bürger der Stadt kannte man derartige Plätze nur vom Hörensagen und gab nie zu, jemals dort gewesen zu sein. Für Lucia Giannotti galten solche ungeschriebenen Regeln nicht. Zielstrebig steuerte sie den nächsten Lagerplatz an, um dort ihre Anhängsel loswerden zu können.
    Schon von weitem waren solche Plätze durch Qualm, Unrat und Geschrei auszumachen. Die Giannotti beschleunigte ihr Tempo, ließ wie zufällig Ferdinands Hand los und murmelte, dass man gleich da sei.
    Es war stets die gleiche Geschichte. Diese armen Geschöpfe dürften nicht in der Stadt bleiben, dort erwarte sie nur der Tod; sie seien ohne Frage lieb, fügsam und freundlich; wie gut, dass es noch umherziehende Menschen wie sie gebe, die sich ihrer annehmen würden.
    Ihren wehmütigen Worten fügte sie die versprochenen Münzen

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