Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
Vom Netzwerk:
gewesen. Schmuck und Kleider seien ihr erschienen, ehrbare Personen hätten sie gegrüßt, man habe sie und ihren erlesenen Geschmack gelobt, jedermann habe ihren Namen gekannt, ihn mit Achtung gebraucht und ihn vor allem richtig ausgesprochen.
    Lucia Giannotti konnte nicht genug erzählen.
    Sie wollte am liebsten ewig weiterreden und nie wieder aufhören.
    Wie sei denn ihr Name?
    Die Giannotti erschrak.
    Der Mann lachte. Sie müsse keine Angst haben; aber er habe ihr gern zugehört und frage sich nun, welch schöner Name denn zu einer solch wundervollen Person gehöre.
    Die Giannotti errötete.
    Es täte ihr leid, dass sie sich so sehr ihren Gefühlen hingegeben habe. Sie habe den Herrn nicht mit ihren Kindlichkeiten belästigen wollen. Da der Mann sie immer noch fragend ansah, drehte sie verschämt den Kopf zur Seite.
    Ihr Name sei Lucia Giannotti.
    In dem Moment, als sie ausgesprochen hatte, verfluchte sie sich selbst. Warum hatte sie nicht einen anderen Namen genannt? Wenn der nette Herr aus der Stadt kam – wovon auszugehen war –, dann kannte er ihren Namen zweifellos, und der gesamte gute Eindruck, den sie während der Fahrt bisher erreicht hatte, wäre dahin.
    Die Kutsche stoppte. Schon meinte die Giannotti einen Fußtritt zu spüren, der sie in den Straßengraben beförderte, hörte Verwünschungen hinter sich hergeschleudert und sah die Kutsche in Windeseile aus ihrem Blickfeld verschwinden.
    Doch nichts dergleichen geschah.
    Die Pferde schnaubten, die Zügel schlugen leise gegen ihre Flanken.
    Dies sei der mit Abstand wunderbarste Name, den er seinen Lebtag gehört habe.
    Der Mann nahm die Hände der Giannotti in seine und hielt sie fest umschlossen.
    Auch wenn er sie erst einen Augenblick kenne, ihre Begegnung scheine ihm ein Geschenk des Himmels zu sein. Ihr Talisman habe seine Kraft mitnichten eingebüßt, denn er habe sie hierher geführt, an diesen Ort, er habe sie beide zusammengebracht, und dies sei nicht nur Glück für sie allein, sondern für sie beide – wenn sie verstehe, was er meine.
    Die Giannotti nickte verwirrt.
    Entrüstet schüttelte der Mann seinen Kopf. Leider habe er in der ganzen Aufregung seine guten Manieren vergessen. Er sei Geschäftsmann aus Antwerpen und käme gerade aus der Stadt hinter ihnen, die ihm allerdings mehr Arbeit als Glück beschert habe. Aber ihre Begegnung sei ein wunderbarer Ausgleich für die beschwerliche Reise.
    Er zögerte.
    Es sei sonst nicht seine Art, mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber er frage sich, ob sie ihn nicht auf seiner Reise begleiten wolle. Er habe aus ihrem Bericht erfahren, dass ihr das Leben hier nicht so recht behagen wolle. Sicher gebe es andere, schönere Seiten, aber diese seien ihr anscheinend nicht so wichtig wie jene Träume, die sie ihm gerade geschildert habe.
    Er setzte sich gerade, hielt weiter die Hände der Giannotti fest umschlungen, sah sie an.
    Lucia Giannotti erwiderte seinen Blick, senkte dann ihre Augen auf seine Hände.
    Dies sei sehr liebenswürdig von ihm. Und reizvoll dazu.
    Sie müsse sich um nichts kümmern. Geldsorgen habe er nie gehabt und alles, was ihm zu seinem Glück fehle, sei eine ehrliche Frau an seiner Seite, die ihn gerne überall hin begleite.
    Ferdinand fiel der Giannotti ein.
    Der wartete bestimmt schon unruhig in der Hütte auf ihre Rückkehr. Mit seiner Hilfe würde sie vielleicht in der Stadt Fuß fassen können, aber ihre bisherigen Aufgaben würde sie vermutlich weiterhin behalten. Hellsehen, zaubern und menschlichen Unrat wegschaffen; weitere Tätigkeiten waren nicht vorgesehen. Mit diesem Mann aus Antwerpen konnte sie diese Welt endlich hinter sich lassen. Sie würde ein neues Leben beginnen, ohne Sorgen und Nöte, an der Seite dieses netten Menschen, der ihr die Sterne vom Himmel holen würde.
    Aber etwas störte die Giannotti. Nicht die ungeahnten Möglichkeiten waren schuld daran oder die plötzliche Entscheidung, alles hinter ihr zu lassen. Kurz überlegte sie, ob es daran lag, dass der Mann von seinem Glück sprach, und nicht von ihrem. Aber das war natürlich kein Grund, sein liebevolles Angebot abzulehnen.
    Immerhin würde sie ja an seinem Glück teilhaben.
    * * *
    Das spurlose Verschwinden der Giannotti blieb in der Stadt zunächst unbemerkt.
    Allein die Damen, die sich sonst die Zukunft hatten weissagen lassen, wunderten sich über ihr Ausbleiben bei den vereinbarten Treffen. Als nach der dritten Woche die Giannotti abermals nicht erschien, schlugen einige mutige Damen vor, doch die

Weitere Kostenlose Bücher