Der widerspenstige Planet
Sensorien waren gefährlich. Zugegeben, es wurde manches auf dem künstlerischen Sektor damit geleistet. (Man sollte in diesem Zusammenhang Verreho nicht unerwähnt lassen, ebenso wenig Johnston oder Telkin; und auch Mikkelsen war vielversprechend.) Aber es gab eben nicht viele gute Werke. Und verglichen mit den schädigenden Auswirkungen auf die Psyche, die Verflachung des allgemeinen Geschmacks, dem Trend zur völligen Passivität …
Noch eine Generation, so polterten die Kritiker, und die Menschen wären nicht mehr dazu in der Lage, zu lesen, zu denken oder zu handeln!
Es war ein starkes Argument. Aber Blaine, der immerhin über einhundertzweiundfünfzig Jahre an Perspektive verfügte, erinnerte sich an fast genau dieselben Argumente, die einmal gegen das Radio, das Kino, die Comic-Hefte, das Fernsehen und die Taschenbücher ins Feld geführt worden waren. Selbst der so geschätzte Roman war einmal dafür getadelt worden, dass er die Normen der reinen Dichtkunst überschritten hatte. Jede Erneuerung wirkte kulturbedrohend und wurde schließlich zu einem Kulturträger, zur Verkörperung der guten alten Tage, zum Geist des Goldenen Zeitalters – um von der nächsten Neuerung wieder bedroht und schließlich zerstört zu werden.
Ob sie nun gut oder schlecht sein mochten, die Sensorien waren nun einmal da. Blaine trat in ein Geschäft, um auch an diesem Vergnügen teilhaben zu können.
Nachdem er sich mehrere Modelle angeschaut hatte, kaufte er ein Bendixgerät der mittleren Preisklasse. Dann suchte er sich mit Hilfe des Verkäufers drei beliebte Aufnahmen aus und nahm sie in eine Kabine mit, um sie sich anzusehen.
Er befestigte die Elektroden an seiner Stirn und stellte die erste an.
Es war eine populäre historische, stark romantisierte Wiedergabe des Rolandslieds, in einer Niedrigintensitäts-, Nichtidentifikationstechnik hergestellt, die große Schlachtszenen ermöglichte sowie riesige Aufzüge. Die Traumvision begann.
… und Blaine befand sich unter Rolands Tross am Pass von Roncesvalles an jenem heißen und schicksalhaften Augustmorgen des Jahres 778 und beobachtete, wie sich die Armee Karls des Großen langsam auf das Land der Franken zuwälzte. Die müden Veteranen saßen gebeugt in ihren hohen Sätteln. Leder knarrte, Sporen schepperten gegen bronzene Steigbügel. In der Luft lag der Duft von Pinien und Schweiß, eine Spur von Rauch aus dem geschleiften Pamplona, der Geschmack von Stahl und trockenem Sommergras …
Blaine entschloss sich, die Aufnahme zu kaufen. Das nächste Stück war eine Hochintensitätsjagd auf der Venus, in der sich der Zuschauer voll mit dem gejagten, unschuldigen Mann identifizierte.
Die letzte Aufnahme war eine Bearbeitung von »Krieg und Frieden« in Variointensität, bei der sich der Zuschauer gelegentlich mit Figuren identifizierte.
Als er bezahlte, zwinkerte der Verkäufer ihm zu und fragte: »Auch an richtigen Sachen interessiert?«
»Vielleicht«, sagte Blaine.
»Habe großartige Partyaufnahmen«, sagte der Verkäufer. »Volle Identifikation mit Austausch. Nicht? Hab ein echtes Horrorstück, ein Mann, der im Treibsand stirbt. Die Mörder haben seinen Tod für den Spezialhandel aufgenommen.«
»Vielleicht ein anderes Mal«, sagte Blaine und ging auf die Ausgangstür zu.
»Dann habe ich noch eine Sonderaufnahme«, rief ihm der Verkäufer hinterher. »Gesetzlich einwandfrei hergestellt, aber nicht in den Verkehr gebracht. Gibt’n paar Raubkopien. Ein Mann, der aus der Vergangenheit wiedergeboren wird. Absolut echt.«
»Wirklich?«
»Ja, und einmalig dazu. Die Emotionen kommen wirklich klar durch, klar wie’ne Glocke, scharf wie’n Messer. Ich möchte behaupten, dass das mal ein Klassiker wird.«
»Das würde mich schon interessieren«, sagte Blaine grimmig.
Er nahm die nicht beschriftete Aufnahme mit in die Kabine. Zehn Minuten später kam er wieder heraus, ein bisschen erschüttert; er kaufte sie für einen horrenden Preis. Es war, als kaufte er ein Stück von sich selbst.
Der Verkäufer und die Techniker bei Rex hatten Recht. Es war ein echtes Sammlerstück und würde wahrscheinlich ein Klassiker werden.
Leider hatte man die Namen ausgelöscht, um die Polizei nicht auf die Fährte zu bringen. Er war berühmt – aber auf völlig anonyme Weise.
22
Blaine ging jeden Tag zur Arbeit, wischte den Boden, leerte den Papierkorb, adressierte Briefumschläge und entwarf ein paar antike Schiffskörper auf Kommissionsbasis. Abends setzte er sich mit der
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