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Der widerspenstige Planet

Der widerspenstige Planet

Titel: Der widerspenstige Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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stellte Blaine fest, dass er mittlerweile weit über hundert fuhr.
    Er nahm den Fuß vom Gas. Das Auto brach aus, schlingerte wild auf die immer heller werdenden Scheinwerfer zu.
    Ein Platter? Das Lenkrad? Blaine versuchte das Steuer herumzureißen. Es bewegte sich nicht. Der Wagen prallte auf die niedrige Betonabgrenzung zwischen den beiden Spuren und machte einen Satz in die Höhe. Das Lenkrad rutschte Blaine aus den Händen und wirbelte herum, der Motor heulte auf wie eine verlorene Seele.
    Im letzten Moment versuchte der andere Fahrer auszuweichen, aber es war zu spät. Sie würden praktisch frontal aufeinanderknallen.
    Und Blaine dachte: Ja, ich gehöre dazu, ich bin eines dieser bescheuerten Arschlöcher, die die Kontrolle über ihre Autos verlieren und Unschuldige mit in den Tod reißen. Wie oft habe ich davon gelesen … Herrgott! Moderne Autos und komfortable Straßen und immer höhere Geschwindigkeiten, aber dieselben alten, unzuverlässigen Reflexe …
    Plötzlich, unerklärlicherweise, funktionierte das Lenkrad wieder, alles stand auf des Messers Schneide. Doch Blaine nahm seine letzte Chance nicht wahr. Als die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens sein gesamtes Blickfeld ausfüllten, waren alle seine Reuegefühle auf einmal verflogen und er jubelte innerlich. Eine Sekunde lang
sehnte er sich nach dem Aufprall, gierte danach, nach dem Schmerz, der Zerstörung, nach Grausamkeit und Tod.
    Dann trafen die Autos aufeinander. Der Jubel verging, so schnell er gekommen war. Blaine spürte tiefes Bedauern für all das, was er versäumt hatte – für die Flüsse und Seen, auf denen er nie gesegelt war, die Filme, die er nie gesehen, die Bücher, die er nie gelesen, und die Mädchen, die er nie berührt hatte. Es schleuderte ihn nach vorn. Das Steuer brach in seinen Händen. Die Lenksäule durchbohrte seine Brust und zerschmetterte sein Rückgrat, während er mit dem Kopf voran durch das dicke Sicherheitsglas flog.
    In diesem Moment wusste Blaine, dass er starb.
    Einen Moment später war er tot – ein schneller, schmutziger, schmerzloser, zutiefst gewöhnlicher Tod.

2
    Er erwachte in einem weißen Zimmer.
    »Er lebt wieder«, sagte jemand.
    Blaine öffnete die Augen. Zwei Männer in Weiß beugten sich über ihn. Es schienen Ärzte zu sein. Einer von ihnen war ein kleiner, bärtiger alter Mann. Der andere hatte ein hässliches rotes Gesicht und war Mitte fünfzig.
    »Wie heißen Sie?«, fuhr ihn der Alte an.
    »Thomas Blaine.«
    »Alter?«
    »Zweiunddreißig. Aber …«
    »Familienstand?«
    »Ledig. Was …«
    »Sehen Sie?«, fragte der alte Mann und drehte sich zu seinem rotgesichtigen Kollegen herum. »Geistig gesund, völlig gesund!«

    »Das hätte ich nie gedacht«, meinte der Mann mit dem roten Gesicht.
    »Aber selbstverständlich! Das Todestrauma ist immer überschätzt worden. Viel zu sehr überschätzt, wie mein nächstes Buch beweisen wird.«
    »Hm. Aber die Wiedergeburtsdepression …«
    »Unsinn!«, sagte der Alte mit Bestimmtheit. »Blaine, fühlen Sie sich wohl?«
    »Ja. Aber ich wüsste gern …«
    »Sehen Sie?«, sagte der alte Arzt triumphierend. »Wieder am Leben und geistig gesund. Werden Sie jetzt endlich auch den Bericht unterschreiben?«
    »Ich habe wohl keine andere Wahl«, sagte der rotgesichtige Mann. Die beiden Ärzte verließen den Raum.
    Blaine sah zu, wie sie hinausgingen, und dachte darüber nach, was sie wohl gemeint haben konnten. Eine dicke, mütterlich wirkende Krankenschwester trat an sein Bett. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte sie.
    »Prima«, sagte Blaine. »Aber ich wüsste gern …«
    »Tut mir leid«, sagte die Krankenschwester, »aber jetzt dürfen noch keine Fragen gestellt werden. Anweisung des Arztes. Trinken Sie das hier, das wird Sie aufmuntern. Braver Junge! Keine Angst, es wird schon alles wieder werden.«
    Sie ging hinaus. Ihre beruhigenden Worte erschreckten ihn. Was meinte sie mit Es wird schon alles wieder werden? Das hieß doch, dass irgendetwas nicht in Ordnung war! Was war das, was war nicht in Ordnung? Was machte er hier, was war geschehen?
    Der bärtige Arzt kam zurück und wurde von einer jungen Frau begleitet.
    »Ist er wieder auf dem Damm, Doktor?«, fragte sie.
    »Geistig völlig gesund«, sagte der alte Arzt. »Das nenne ich eine gelungene Verschmelzung.«

    »Dann kann ich also mit dem Interview beginnen?«
    »Natürlich. Allerdings kann ich nicht für sein Verhalten garantieren. Das Todestrauma wird zwar viel zu sehr überbewertet, aber es kann

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