Der widerspenstige Planet
musste einsehen, dass seine einzige Hoffnung nur in der Vergangenheit Gültigkeit gehabt hatte. Er riss sich zusammen und kroch am Altar vorbei durch die Hintertür der Kirche hinaus.
Nun befand er sich auf einem alten Friedhof. Mühsam robbte er an Kreuzen und Sternen vorbei, vorbei an Grabsteinen aus Marmor und Granit, vorbei an Steingrabmälern und groben Holzkreuzen. Eine Kugel streifte einen Grabstein, bedeckte ihn mit Steinsplittern. Er kroch vorsichtig zum Rand eines offenen Grabes.
Sie hatten ihn doch akzeptiert, dachte er. All diese netten, durchschnittlichen, normalen Leute. Hatten sie nicht gesagt, dass er einer der Ihren sei? Hatten sie nicht geschworen, ihr Symbol, ihren Stellvertreter zu beschützen? Aber nein, sie hassten ihn. Warum nur hatte er das nicht viel eher erkannt? Ihr Held war der eiskalte Bursche mit dem Colt in der Hand – Thompson, Al Capone, Billy the Kid, El Cid – der Mann ohne menschliche Regung. Ihn verehrten sie, diesen leblosen, roboterhaften Mörder.
Raeder versuchte sich zu bewegen und rutschte dabei hilflos in das offene Grab.
Er lag auf dem Rücken und starrte zum blauen Himmel empor. Dann ragte eine dunkle Silhouette über ihm auf, löschte den Himmel aus. Metall schimmerte. Langsam begann die Silhouette zu zielen.
Und Raeder ließ alle Hoffnung fahren …
»Halt, Thompson!«, schrie die durch Lautsprecher verstärkte Stimme Mike Terrys.
Der Revolver schwankte.
»Es ist eine Sekunde nach fünf! Die Woche ist um! Jim Raeder hat gewonnen!«
Das Studiopublikum machte sich in einem hysterischen Aufschrei Luft.
Die um das Grab versammelten Killer verzogen mürrisch das Gesicht.
»Er hat gewonnen, Freunde, er hat gewonnen!«, rief Mike Terry. »Schaut auf den Bildschirm, seht hin! Die Polizei ist da, führt die Thompsonbande ab, entfernt sie von ihrem Opfer – dem Opfer, das sie nicht töten konnte. Und das verdankt es nur euch, Gute Samariter Amerikas. Sehen Sie, meine Damen und Herren, sanfte Hände heben Jim Raeder aus dem offenen Grab, das seine letzte Zuflucht wurde. Auch die Gute Samariterin Janice Morrow ist dabei. Ist das der Anfang einer Liebesgeschichte? Jim scheint das Bewusstsein verloren zu haben, Freunde, man gibt ihm ein Mittel zur Wiederbelebung. Er hat eine Million Dollar gewonnen! Und nun hören wir ein paar Worte von Jim Raeder!«
Es blieb kurze Zeit still.
»Merkwürdig«, sagte Mike Terry. »Liebe Zuschauer, leider können wir im Augenblick nicht mit Jim sprechen. Die Ärzte untersuchen ihn gerade. Haben Sie ein wenig Geduld …«
Wieder Stille. Mike Terry wischte sich über die Stirn und lächelte. »Es ist die Belastung, verehrte Zuschauer, die furchtbare Belastung. Die Ärzte erklären mir gerade … Nun, liebe Zuschauer, Jim Raeder hat vorübergehend seine geistige Gesundheit eingebüßt. Aber nur vorübergehend! JBC wird ihm die besten Psychiater und Psychoanalytiker des Landes zur Verfügung stellen. Wir werden für diesen mutigen jungen Mann alles Menschenmögliche tun. Und selbstverständlich übernehmen wir sämtliche Kosten.« Er warf einen Blick auf die Uhr im Studio. »Wir müssen jetzt Schluss machen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Sehen Sie nun die Ankündigung unserer nächsten großen Realityshow. Und keine Angst, ich bin davon überzeugt, dass Jim Raeder bald wieder unter uns sein wird.« Mike Terry lächelte und blinzelte dem Publikum zu. »Er muss ja gesund werden, Freunde. Wir alle stehen doch auf seiner Seite.«
DIE JENSEITS-CORPORATION
1
Hinterher dachte Thomas Blaine über die Art, wie er gestorben war, nach, und er wünschte sich, es wäre interessanter gewesen. Warum nur hatte der Tod ihn nicht ereilt, während er gegen einen Taifun kämpfte, auf der Tigerjagd oder beim Bezwingen eines sturmumtosten Gipfels? Warum war sein Tod etwas so Herkömmliches und Mittelmäßiges gewesen?
Aber andererseits hätte ein kühner Tod, erkannte er, gar nicht zu seinem Charakter gepasst. Ohne Zweifel war es ihm bestimmt gewesen, auf genau die schnelle, mittelmäßige, blöde, schmerzlose Art zu sterben, auf die er starb. Sein ganzes Leben musste sich geformt und entwickelt haben auf diesen einen Moment hin, den Tod – eine vage Vorahnung in der Kindheit, eine feste Zusage in der College-Zeit, eine endgültige Gewissheit im Alter von zweiunddreißig.
Doch ganz unabhängig davon, wie gewöhnlich oder ungewöhnlich er dann schließlich eintritt – das Leben hat nichts Spannenderes zu bieten als den eigenen Tod. Also dachte auch
Weitere Kostenlose Bücher