Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
verzichtet und sich stattdessen für ein strahlend weißes Kleid entschieden. Ihre Couturiers waren entsetzt gewesen. Weiß war die Farbe von Leichentüchern, unter diesen Umständen eindeutig zu pessimistisch. Die Lady hatte sich nicht umstimmen lassen: Wenn sie schon die Rolle einer Heiligen spielen sollte, dann wollte sie auch so aussehen. Da sie sich aber im Quartier Chaud befanden, war das Kleid, das man für sie geschneidert hatte, übertrieben eng ausgefallen und hatte einen geradezu gefährlich tiefen Ausschnitt. Leider wurden ihre Brüste von einem Schal, den sie über den Schultern trug, verdeckt, doch im Großen und Ganzen war de Sade mit dem Aussehen seines Schützlings zufrieden. Auch als es darum ging, eine passende Maske auszusuchen, war die Lady eisern geblieben. Sie würde mit frisch geschorenem Kopf und unmaskiert vor den Rat der Zehn treten.
Doch es bedurfte mehr als eines engen Kleides und eines geschorenen Kopfes, um den Rat zu beeindrucken. De Sade hatte am eigenen Leib erfahren, welche Lumpenbande das war und dass man sie nur schwer überzeugen konnte; trotzdem war er insgeheim zuversichtlich. Die Lady strahlte eine seltsame Gewissheit aus, und das war etwas, was die Leute von ihren Führern und natürlich auch vom Messias erwarteten.
Seine hundert Francs waren gut angelegt.
Ella lernte dazu, stellte Vanka zufrieden fest. Als er sie kennengelernt hatte, war sie etwas naiv gewesen, was die Tricks seines Berufsstandes anging, aber jetzt …
Hätte er ihr beistehen können, hätte er ihr nahegelegt, sich dementsprechend zu kleiden und aufzutreten, wenn sie als spirituelles Wesen angesehen werden wollte. Und genau das hatte sie getan. Die Bühne unmaskiert zu betreten war ein meisterlicher Schachzug gewesen. Es wies sie als etwas Besonderes aus und signalisierte gleichzeitig eine gewisse Unschuld, eine Verletzlichkeit, die es jedem schwermachen würde, sie zum Tod zu verurteilen. Obendrein offenbarte es ihren erstaunlichen Charme. Man musste schon ein ausgewiesener Halunke sein, um einer so bezaubernden Schönheit den Garaus zu machen, allerdings wimmelte es in Venedig von ausgewiesenen Halunken.
Während er sich mit Hilfe seiner Ellbogen durch die Menschenmenge schlängelte, sah er, wie man sie aufforderte, mitten auf der Bühne stehen zu blieben. Dort stand sie nun, flankiert vom Rat der Zehn, der Dogaressa und einer Ehrengarde, die aus drei Visuellen Jungfrauen und einem kleinen, nervös dreinblickenden jungen Mann mit lockigem Haar zu bestehen schien.
Stille senkte sich über die Versammlung, während alle mit angehaltenem Atem darauf horchten, was die Dogaressa zugunsten ihres mutmaßlichen Messias zu sagen hätte.
Auch Norma bahnte sich hinter Vanka einen Weg durch die Menge und dachte, dass sie sich kein hirnverbrannteres und gefährlicheres Abenteuer hätten aussuchen können. Sich in die Höhle des Löwen zu begeben, wo es von Signori di Notte nur so wimmelte, während sie beide mit Haftbefehl gesucht wurden, war nicht besonders klug, aber Vanka war so verzweifelt gewesen, dass sie ihn nicht davon hatte abbringen können. Und wie Norma allmählich feststellte, bedeutete Freundschaft, einander beizustehen, auch wenn es gegen alle Vernunft verstieß.
Als sie sich jetzt an einem besonders fetten Patrizier vorbeidrängte, sah sie, wie die Dogaressa die Hände hob. »Meine Herren und Damen, Patrizier! Wir sind ’eute zusammengekommen, um eine bedeutende Entscheidung zu fällen. Diese junge Frau, die Ihnen als Lady IMmanual bekannt ist, kam als Messias, um uns durch die Zeit der Mühsal zur göttlichen Offenbarung zu führen. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie ein Wunder vollbrachte, dafür gibt es eine Unzahl zuverlässiger Zeitgenossen, die bezeugen können, wie sie die Grenzschicht öffnete und den in Warschau gefangenen Menschen ermöglichte, den Klauen ’eydrichs und des ForthRight zu entkommen. Zudem ’aben wir die Aussage von Schwester Florence, die bestätigt, dass ihre Aura das Menschliche übersteigt … dass sie überirdisch ist. Aber das ist nicht alles: Gestern haben wir erfahren, dass sie den Prophezeiungen auf Locis Säule entspricht.«
Ein Raunen flog durch die Menschenmenge. Dass Ella den Prophezeiungen auf der Säule entsprach, war ein Argument, das extrem stark für sie sprach.
»’eute müssen wir sie beurteilen und entscheiden, ob sie tatsächlich der von ABBA gesandte Messias ist.« Die Dogaressa hielt einen Augenblick inne. »Patrizier, es liegt an
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