Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
dass du die Tattoos und Piercings entfernt hast.«
»Die Narben sind noch da. Sie sollen mich daran erinnern, wie leicht man auf die schiefe Bahn geraten kann.«
»Ja. Und die Tattoos sind vermutlich mit einem Laserstrahl beseitigt worden.«
Seufzend knöpfte Aaliz die drei obersten Knöpfe ihrer Bluse auf und entblößte ihre Schulter, um die Tätowierung zu zeigen und beiläufig auch, dass sie keinen BH trug. Später sollte sie erfahren, dass ABBA s Augenbewegungs-Analysesystem, mit dessen Hilfe sich das Interesse der Polly-Zuschauer für jedes Element aller aufgezeichneten Programmteile messen ließ, bei ihrem kleinen Striptease einen fünfzigprozentigen Anstieg verzeichnet hatte.
»Bei mir bekommen Sie das, was Sie sehen, und was Sie hören, ist die Wahrheit, Miss Collins.«
»Du bist einfach zu gut, um echt zu sein, Kleines.«
Aaliz schwieg einen Augenblick, um die Spannung zu erhöhen, während die KameraBots heranzoomten, um potenzielle Gefühle festzuhalten. Gefühle waren das A und O bei Polly, und bald würden die Zuschauer sie kübelweise bekommen, beschloss Aaliz.
»Sie zweifeln immer noch an meiner Redlichkeit, Miss Collins, Sie unterstellen mir immer noch, dass ich lüge, obwohl ich zugegeben habe, dass ich Drogen genommen habe, mit vielen Männern und auch Frauen geschlafen und ein schändliches und nutzloses Leben geführt habe. Ich war ganz ehrlich zu Ihnen, Miss Collins, trotzdem weigern Sie sich, mir zu glauben. Und indem Sie das tun, wollen Sie andeuten, dass Sie ehrlicher und vertrauenswürdiger sind als ich.«
Es musste an Aaliz’ Tonfall liegen, jedenfalls dämmerte es Collins plötzlich, dass da etwas im Gange war, was nicht im Drehbuch stand. Doch mit siebenunddreißig Millionen Zuschauern hatte Collins nicht viel Zeit zum Nachdenken, das wusste Aaliz. Die Moderatorin warf einen raschen Blick auf ihren Produzenten, doch der zuckte nur die Achseln.
»Nun, ich habe den Ruf, den Sachen auf den Grund zu gehen, damit unsere Zuschauer die Menschen so sehen, wie sie sind.« Man sah deutlich, dass sie sich unbehaglich fühlte. Die goldene Regel für Interviews lautete, dass derjenige, der die Fragen stellte, auch die Oberhand hatte, und zu ihrem Entsetzen war im Moment sie diejenige, die antworten musste.
»Aber warum sollten die Zuschauer Ihnen vertrauen, wenn Sie so gut darin sind, sich zu verstellen und Ihre Motive vor ihnen zu verbergen?«
Die KameraBots zoomten heran, doch dieses Mal auf Clare Collins. Der Produzent wusste, was gutes Polly war, wenn er es sah.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Hör zu, ich bin hier, um dich zu interviewen, dein wahres Ich zu zeigen.«
»Aber Sie sind nicht bereit, die wahre Collins zu zeigen und sie hinterfragen zu lassen, nicht wahr?«
»Ich weiß immer noch nicht, was du meinst.«
»Als ich zu dieser Show kam, habe ich auf mein PollyMorphing verzichtet. Ich wollte mich dem Polly-Publikum so zeigen, wie ich bin, ungeschminkt. Im Gegensatz zu Ihnen. Sie fürchten sich davor, sich dem Publikum so zu zeigen, wie Sie sind, Miss Collins.«
Clare Collins wurde kreidebleich – nicht, dass das Publikum es erkannt hätte, denn das PollyMorphing glich die Gesichtsfarbe automatisch aus. Aaliz wusste, warum sie schockiert war: PollyMorphing war ein streng gehütetes Geheimnis; darüber in der Öffentlichkeit zu plaudern, war strengstens verboten. Der Grund war einfach: Die Darsteller konnten auf diese Weise zehn Jahre jünger gemacht werden, und es war viel billiger und effektiver als eine Operation oder Botox.
»Ich benutze kein PollyMorphing.«
»Na, kommen Sie, Miss Collins, Sie erwarten doch nicht im Ernst, dass die Zuschauer Ihnen das abnehmen, oder? Und wenn Sie in puncto Aussehen schon nicht ehrlich sein können, wie wollen Sie erwarten, dass das Publikum Ihre Fragen für ehrlich hält?« Kopfschüttelnd wandte Aaliz ihren Blick von Collins ab und blickte in die erstbeste KameraBot. »Überzeugt euch selbst, indem ihr euch ParaDigms Berichterstattung anseht, wenn ich am Mittwoch in der New Yorker Entziehungsanstalt auftrete. Bei Aaliz … bei Norma Williams ist das, was ihr seht, auch das, was ihr bekommt.«
31
Ein Hinterzimmer im Maison d’Illusion: Paris
Demi-Monde:
30. Tag im Frühling des Jahres 1005
In einer Welt, die sich offensichtlich der Gewalt und dem Krieg verschrieben hatte, wäre das Predigen eines »zweiten Weges«, eine Philosophie des Friedens, der Harmonie und des Halte-die-andere-Wange-hin in der Konfrontation mit
Weitere Kostenlose Bücher