Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
so leidenschaftlich erlebt. »Was ist also dann die Lösung?«, wollte sie wissen.
»Ich habe keine, Norma, und ich bin kein Held. Ich trotze Krieg und Gewalt, indem ich sie ignoriere. Um sie zu ändern, bräuchten wir einen echten Messias.«
Norma wollte gerade Vanka widersprechen, als sie draußen vor dem Gefängnis lautes Geschrei hörte. »Vanka? Was geht da draußen vor? Warum brüllen sie so?«
Norma hatte recht. Draußen vor der Bastille herrschte ein Höllenlärm. Als Vanka aufstand, um nachzusehen, stöhnte er vor Schmerz. Das einzige Fenster war eine kleine Luke in der Wand seiner Zelle. Er stieg auf das Bett, das unter seinen Stiefeln schrecklich laut quietschte, und warf einen Blick auf die rue Saint-Antoine vor dem Gefängnis, wo es von Menschen wimmelte. Zu seiner großen Überraschung schien vor den Toren des Gefängnisses eine Demonstration stattzufinden. Den Plakaten zufolge musste es eine Demonstration der UnBefleckten sein. Am besten gefielen ihm die Transparente mit der Aufschrift »Liberté, Egalité, Frivolité« und »Verfickter UnFunDaMentalismus«. Es gefiel ihm auch, dass die Demonstranten Frauen waren und alle wie Liberté verkleidet, mit einer entblößten Brust. Vanka hätte nie gedacht, dass eine politische Kundgebung derart erotisch sein konnte.
Leider hatten die GenDarmen, die versuchten, die Frauen am Demonstrieren zu hindern, kaum Gelegenheit, die Zurschaustellung weiblicher Anmut zu genießen. Unzählige UnBefleckte drängten vorwärts, auf den Kordon der Polizisten zu. Es waren so viele, dass die etwa fünfzig GenDarmen, die den Eingang zur Bastille sicherten, langsam aber sicher zurückweichen mussten.
Da Vanka ein Gentleman war, beschloss er, den Frauen zu helfen. Er nahm seinen bis zum Rand mit Fäkalien gefüllten Eimer und entleerte ihn genüsslich auf die Köpfe der GenDarmen unterhalb. Zufrieden bemerkte er, dass die zehn Tage, die er widerwillig als Gast des Komitees für Öffentliche Sicherheit in der Zelle verbracht hatte, seiner Treffsicherheit keinen Abbruch getan hatten. Trotzdem hatte er Mitleid mit dem armen Kerl, der genau im falschen Augenblick nach oben geschaut hatte.
Doch wie immer waren die guten Dinge nicht von langer Dauer. Gerade als ihm die Munition ausging, hörte er das Rasseln eines Schlüssels vor seiner Zellentür.
Nach Meinung von Sergeant Henri Aroca kippte die Stimmung der bis dahin höflichen Auseinandersetzung erst dann in eine gewalttätige Konfrontation um, als Capitaine Lefèvre eine volle Ladung Kacke ins Gesicht bekam. Der Capitaine versuchte, sie sich mit dem Ärmel aus dem Gesicht zu wischen – was nur zur Folge hatte, dass sie sauber über seine ganze Visage verteilt wurde –, da verdunkelte sich sein Ausdruck, und seine Augen funkelten vor Wut.
»Zieht eure Schlagstöcke! Verpasst diesen Zicken eine ordentliche Tracht Prügel!«, schrie der erzürnte Capitaine, woraufhin seine Männer pflichtbewusst, wenn auch widerstrebend, seinem Befehl folgten.
Henri wusste augenblicklich, dass das ein Fehler war. Bislang hatten die Frauen der oberen Mittelschicht höflich die Entlassung von Jeanne Deroin und Aliénor d’Aquitaine aus dem Gefängnis gefordert und die übrigen Frauen angeführt, die sich eher zaghaft gegen den Kordon der GenDarmen gedrängt hatten. Doch sobald der erste Knüppel auf dem ungeschützten Kopf einer der Frauen landete, veränderte sich alles. Eine wütende Menge stürzte sich auf die GenDarmen und benutzte ihre Plakate als Speere und Schlagstöcke. Diese Demonstrantinnen verplemperten ganz offensichtlich ihre Zeit nicht damit, in den modischen Salons des Quartier Latin über die feineren Nuancen der ImPuritanischen Dialektik zu debattieren oder die jüngsten polemischen Gedichte eines populistischen Troubadours zu rezitieren. Nein, es waren Frauen der Arbeiterklasse, die sich darauf verstanden, ihre Fäuste und Stiefel einzusetzen.
Der Ansturm, der von einer besonders verbissenen Zicke angeführt wurde, die obendrein auf beunruhigende Weise an Henris Tochter Odette erinnerte, war derart heftig, dass die Linie der GenDarmen ins Wanken geriet und nachgab. Das wiederum war fatal. Es mussten sich einige tausend Frauen versammelt haben, und als die GenDarmen zurückwichen, verbreitete sich die unausgesprochene Botschaft, dass der Sieg in greifbarer Nähe war, wie ein Lauffeuer in der Menge. Im Handumdrehen wurden die Demonstrantinnen zu einem erbosten Mob, und der schiere Druck ihrer Körper war nicht mehr
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