Der Widerstand: Demi-Monde: Welt außer Kontrolle 2 (German Edition)
Das war die Schlussfolgerung, zu der sie gelangt war, nachdem man sie zehn Tage lang in der Bastille hatte meditieren lassen: Krieg war einfach nur blöd, und intelligente Menschen wie sie hatten die Pflicht, ihn zu beenden. Schon möglich, dass sie gegen ihren Willen in der Demi-Monde war und hier gefangen gehalten wurde, dass sie ihrer Mutter, ihrem Vater und auch anderen schwer zu schaffen machte, doch zumindest konnte sie aus ihrem Martyrium lernen und aus ihrem Leben etwas Gutes machen.
Sie erinnerte sich an Shelley, den Dichter, den sie getroffen hatte, als sie in die Demi-Monde gekommen war. »Krieg ist des Staatsmanns Spiel, des Priesters Wonne, des Richters Scherz, des feilen Bravos Handwerk, und jetzt verstehe ich, auch ABBA s grausamer Streich.«
ABBAs grausamer Streich …
Zwar war dieser Shelley ein verrückter Romantiker, ein attraktiver verrückter Romantiker, aber auch scharfsinniger, als er selbst glaubte. Scharfsinnig und ineffektiv. Shelley war nur ein Salonrevoluzzer, der gern große Töne spuckte, aber nichts unternahm.
Sie lächelte in sich hinein. Genau wie sie selbst.
O ja, sie hatte immer Politikerin werden wollen wie ihr Vater, hatte immer Gutes tun und das Leben der Menschen verbessern wollen, doch gute Vorsätze kosten nichts. Ihr Vater hatte eine Redensart: »Wenn das Wörtchen wenn nicht wär, wär mein Vater Millionär.« Und sie hatte sich immer nur irgendwas ausgemalt und erträumt. Sie hatte eine Heldin sein wollen, und es hatte unweigerlich damit geendet, dass sie zum Opfer wurde. Sie war Aaliz Heydrichs Opfer geworden, als diese sie in die Demi-Monde lockte. Ein Opfer von Percy Shelleys Heimtücke, als er sie an Crowley ausgeliefert hatte. Ein Opfer des Schicksals, als sie während ihrer gescheiterten Flucht aus Warschau in den Kloaken weggespült worden war. Ein Opfer von Aleister Crowley, als er ihren Körper in der Realen Welt gestohlen hatte. Und jetzt, als Gefangene in der Bastille, war es ihr bestimmt, das Opfer von Tomás de Torquemada zu werden.
Stets Opfer, niemals Heldin. Das musste ein Ende haben.
»Vanka«, rief sie zu ihrer Nachbarzelle hinüber, »bist du wach?«
»Nein«, lautete die unwirsche Antwort.
Norma ignorierte Vankas Sarkasmus. »Warum bin ich immer ein Opfer, Vanka? Wieso kann ich nie eine Heldin sein?«
Vanka grunzte. »Weil du dich wie ein Opfer benimmst. Weil du immer nur über dein Schicksal jammerst und nie versuchst, es zu ändern. Weil du nie gewillt bist, die Verantwortung für dein Leben und das derjenigen in die Hand zu nehmen, die um dich herum sind. Weil du dich aufgibst, indem du dich aufführst wie ein bockiges kleines Mädchen, und dann auch alle anderen dich aufgeben. Vor allem aber, weil du eine geborene Nervensäge bist.«
Sie ignorierte die Stichelei. »Was ist denn dann ein Held?«
»Mensch, Norma, es ist spät. Außerdem habe ich eine dicke Beule am Kopf, den Quizzies sei Dank, mir ist kalt, und ich habe die Nase voll davon, dämliche Fragen zu beantworten.«
»Bitte, Vanka.«
Stille.
» Bitte , Vanka.« Aus irgendeinem Grund war die Antwort sehr wichtig für sie geworden.
»Na gut. Ein Held ist eine Inspiration. Ein Held überzeugt andere, über sich hinauszuwachsen. Ein Held ist ein wunderbarer Traum, der wahr wird. Ein Held zeigt anderen das, was sie sein könnten, wenn sie nur den Mut aufbrächten … wenn sie sich nur einen Ruck geben könnten.«
»Aber was macht einen Helden aus?«
»Mut.«
»Welche Art von Mut?«
»Die schlimmste: der Mut, allein zu bestehen.«
Allein. Nun, das Wort sagte ihr wenigstens etwas. »Und weiter?«
»Weißt du, Norma, es ist leicht, mutig zu sein, wenn alle zu dir stehen, wenn du die Massen hinter dir weißt. Aber wenn man auf sich allein gestellt ist und gegen den Strom schwimmen muss … dann ist wirklicher Mut gefordert. Es gibt nicht viele Menschen, die dazu fähig sind. Das macht einen Helden aus, und deshalb habe ich noch nie einen getroffen. Ich glaube, Helden gibt es nur in Groschenromanen.«
»Was bist du für ein Zyniker, Vanka!«
»Kein Zyniker, sondern ein Realist. Sieh dir doch die Demi-Monde an. Wenn es je eine Welt gegeben hat, die nach einem Helden schrie, dann diese, aber wir bekommen nur Ersatzhelden und Ersatzmessiasse, die die Menschen für dumm verkaufen und sie glauben lassen, dass sie ABBA s Werk ausführen, obwohl sie in Wirklichkeit nur versuchen, sich rücksichtslos durchzusetzen.«
Norma richtete sich auf ihrer Pritsche auf. Sie hatte Vanka noch nie
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