Der Widerstand
Nahrungsmittel hätten erzeugen sollen, und die – hätten sie es gewusst – über keinerlei Mittel verfügten, um diese Kenntnisse irgendwie in die Tat umzusetzen. Hinzu kam, dass die Gesundheitsversorgung zusammenbrach, das Benzin an den Tankstellen ausging, die Stromversorgung immer spärlicher wurde und es kaum noch Medikamente gab. Kombinierte man diese Faktoren mit einer auf der Flucht befindlichen Bevölkerung, die keinerlei Erfahrung hatte, wie man in Massenlagern für hygienische Zustände sorgte, dann ergab sich ein nahezu perfektes Rezept für den Ausbruch von Anarchie.
Verstärkt wurde dieses Problem natürlich durch die Tatsache, dass gleich am ersten Tag so viele von den Menschen getötet worden waren, die in dieser Situation für Ordnung hätten sorgen können. Torino wusste noch immer nicht, warum der Heimatschutz diese umfassende Übung ins Leben gerufen hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er nach Plattsburgh geschickt worden wäre, ohne dass jemand die Möglichkeit eines Angriffs von außen zumindest erwähnt hätte, wenn irgendwer in Washington »Außerirdische« als die Bedrohung erkannt hätte. Doch die Folge dieser Übung war die gewesen, dass sich die Angesprochenen genau an den Orten versammelt hatten, die gleich darauf im Zuge der ersten Welle von den Shongairi in Grund und Boden bombardiert wurden. Die überlebenden Reservisten und Angehörigen der Nationalgarde gaben sich mehrheitlich alle Mühe, die lokalen Regierungen und die Polizei zu unterstützen, doch ein Teil von ihnen war damit beschäftigt, genau das Gleiche wie Torino zu tun, nämlich gegen die Verursacher dieser Zustände zu kämpfen.
So ungern er auch darüber nachdachte, konnte er dennoch nicht leugnen, dass es wieder andere gab, die ihre Waffen für weitaus egoistischere Zwecke einsetzten. Mit seiner eigenen Truppe war er auf zwei gesonderte Gruppen aus vormaligen Nationalgardisten gestoßen, deren Anführer damit befasst waren, sich als lokale Warlords zu etablieren. Einer von ihnen hatte den Fehler begangen, Torinos Leute – und vor allem deren Waffen – seiner »Schutztruppe« einverleiben zu wollen. Dieser spezielle Warlord würde niemals wieder jemandem zur Last fallen, und ein Viertel der befreiten Sklaven, die er »beschützt« hatte (auffallenderweise zum größten Teil junge, sehr attraktive Frauen), hatten sich danach Torinos Einheit angeschlossen. Denjenigen, die nicht mitkommen wollten, hatten sie die meisten Waffen der kriminellen Bande überlassen und sie in Richtung Scranton geschickt, das bislang aus unerfindlichen Gründen von den kinetischen Geschossen der Shongairi verschont geblieben war. Dort war es den örtlichen Behörden auch erheblich besser gelungen, die öffentliche Ordnung in Lackawanna und den umgebenden Counties aufrechtzuerhalten. Torino war klar, dass es auch für Scranton ein Limit gab, wie lange man dort noch Flüchtlinge aus dem Rest des Landes aufnehmen konnte. Irgendwann würden die Behörden sich gezwungen sehen, die »Grenzen« dichtzumachen, um nicht genauso im Chaos zu versinken wie die umliegenden Gebiete.
Aber womöglich würden sie auch zu spät erkennen, dass sie die Grenzen hätten schließen sollen, und auch dort würde die Ordnung zum Erliegen kommen.
Auf Torino machte das Verhalten der Shongairi den Eindruck, dass sie alles versuchten, um genau dieses Chaos entstehen zu lassen. Es konnte also durchaus sein, dass sie abwarteten, bis Scranton von Flüchtlingen überschwemmt wurde, um dann diese Stadt ebenfalls auszulöschen. Aber vielleicht irrte er sich auch, und die momentane Situation war die unbeabsichtigte Folge einer Strategie, die völlig andere Ziele verfolgte. Es änderte aber nichts an der Tatsache, dass Verwirrung, Anarchie, Hungersnöte und drohende Epidemien seine begrenzten Möglichkeiten überstiegen, in irgendeiner Form Abhilfe zu schaffen. Und da es so aussah, als hätten die Shongairi sich ganz aus dieser Region zurückgezogen, hatte er beschlossen, sein Jagdgebiet zu verlegen.
Es erstaunte ihn immer wieder aufs Neue, dass eine Gesellschaft, die so sehr von Mobiltelefonen und vom Internet abhängig gewesen war, nach ihrem Zerfall dennoch in der Lage war, Neuigkeiten in Umlauf zu bringen und zu verbreiten. Zwar wurden die Fakten bei der Weitergabe häufig verdreht, doch er musste feststellen, dass sich das Ganze in Grenzen hielt und in etwa dem entsprach, was jeder Trottel im Internet zu einem Vorfall hinzudichtete, den irgendwer vor ihm in
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