Der Widerstand
Male hatte man ihm vorgeworfen, nicht bloß ein Kritiker zu sein, und sein Name, den er annahm, als er konvertierte – »Abu Bakr, Sohn des Mohammed, die Wildkatze« –, hatte nicht gerade dazu beigetragen, seine Gegner davon zu überzeugen, dass sie sich irrten. Genau genommen war Torino sich sogar ziemlich sicher, dass sie sich nicht geirrt hatten.
Obwohl er sich für eine Karriere beim Militär entschieden hatte und trotz seiner Neigung, die Geduld mit solchen Leuten zu verlieren, die seiner Meinung nach Scheuklappen trugen, hatte Torino stets die Haltung akzeptiert, dass es legitim war, über die amerikanische Außenpolitik zu diskutieren. Er war der Ansicht gewesen, dass sich die Leute irrten, die argumentierten, Amerika solle den Islam in Ruhe lassen, dann würden islamistische Extremisten auch die USA in Ruhe lassen. Aber er war bereit zuzugeben, dass er sich in diesem Punkt womöglich geirrt hatte. Diese Möglichkeit würde ihn dennoch nicht davon abhalten, jeden zur Rechenschaft zu ziehen, der sich mit Amerika anlegte, denn er weigerte sich, sich von dem Gedanken »es hätte ja sein können« lähmen zu lassen – auch wenn er zugab, dass diese Möglichkeit existierte. Und es war ihm auch egal, wie andere Leute über dieses Thema dachten – er würde niemals alle Moslems in einen Topf werfen, so wenig wie er es mit allen Baptisten (oder Methodisten, Episkopalisten, Lutheranern, Presbyterianern, Katholiken) machen würde. Er persönlich hielt Extremisten gleich welcher Herkunft – vor allem diejenige, die Bomben legten, die Attentate verübten, Menschen entführten, Feuer legten oder die einen bewaffneten Aufstand gegen die Gesetze einer rechtmäßig gewählten Regierung anzettelten – für Spinner, ganz gleich welche Grundlage sie für ihre Einstellung vorbrachten, und er war bereit alles zu tun, um Menschen und die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika vor ihnen allen zu beschützen. Ob er und Abu Bakr politisch einer Meinung waren oder nicht, war unwichtig. Es zählte nur, dass das amerikanische Militär die Verantwortung trug, jeden zu beschützen und zu verteidigen, nicht nur diejenigen, die die Ansichten von Major Daniel Torino teilten, immer vorausgesetzt, dass ihre andere Meinung sie nicht dazu veranlasste, sich über das Gesetz zu stellen.
Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass Abu Bakr vor zwei oder drei Monaten in ihm niemanden gesehen hätte, mit dem er beim Mittagessen am selben Tisch sitzen wollte.
Aber seitdem hatte sich auch einiges verändert.
»Die Wildkatze« war vielleicht kein großer Bewunderer der amerikanischen Gesellschaft oder ihrer Regierung, aber er hatte eindeutig die Entscheidung getroffen, dass die Shongairi das größere Übel waren. Die Tatsache, dass seine gesamte Familie (bis auf seinen jüngeren Bruder Mus’ad) sich in Washington, DC, aufgehalten hatte, als die Stadt von einer Sekunde zur nächsten aufgehört hatte zu existieren, wäre wohl schon genug gewesen, um ihn zu diesem Schluss kommen zu lassen. Doch in den Wochen, die Abu Bakr nun schon zu Torinos Gruppe gehörte, war dem Major deutlich geworden, dass dieser persönliche Verlust gar nicht den Ausschlag gegeben hatte. Klischees neigten dazu, sich in Wohlgefallen aufzulösen, wenn man in einen Hexenkessel geriet, und Torino war zu der Überzeugung gelangt, dass Abu Bakrs politische Einstellung aus einem festen Glauben an seine Prinzipien und aus dem tiefen Verlangen herrührte, das zu tun, was er für das Richtige hielt.
Vielleicht war er zu einem »Landesverräter« geworden, weil er sich nicht mit der Beteiligung an friedlichen Debatten und legalen politischen Aktivitäten hatte begnügen wollen. Torino wusste darüber nichts Genaues, und er würde ihn auch nicht danach fragen, weil es für ihn unbedeutend war – so wie Abu Bakr sich umgekehrt nicht für seine Uniform und sein »Kreuzfahrer«-Erbe interessierte. Im Moment zählte nur, dass Abu Bakr intelligent, zäh, diszipliniert und fähig war. Und dazu genauso entschlossen wie Daniel Marcus Torino, die Shongairi zu töten.
Sollten sie das hier überleben (was ganz sicher nicht der Fall sein würde), dann sollte es ihn nicht wundern, wenn sie beide sich nach einer Weile in gegensätzlichen Lagern wiederfinden würden. Für den Augenblick jedoch gab es Wichtigeres, worüber sie sich Gedanken machen mussten.
»Wie viele haben es geschafft?«, fragte Torino.
»Nicht so viele, wie wir gehofft hatten«, erwiderte Abu Bakr mit finsterer
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