Der Widerstand
betrachtete die silberne Mondscheibe am Himmel. »Ja, ich bin mir sicher, Dave.« Er wandte sich vom Mond ab und verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust. »Vielleicht kommt der Moment noch, wenn ich ihm und Mom sagen kann, dass ich lebe … jedenfalls gewissermaßen. Aber im Augenblick glaube ich nicht, dass er damit zurechtkommen würde.«
»Wieso machst du dir solche Sorgen?«, meinte Dvorak kopfschüttelnd. »Ein Methodistenpastor, der einen Vampir zum Sohn hat … wo soll denn da das Problem liegen?«
»Ganz genau.« Buchevsky konnte sich ein sehr flüchtiges Lächeln nicht verkneifen. »Ich liebe meine Eltern über alles.« Er wurde wieder ernst, da er an die Menschen denken musste, die er im gleichen Maß geliebt hatte. Seiner Stimme ließ er nichts anmerken. »Ich liebe sie, aber sie werden Zeit benötigen, um sich an alles zu gewöhnen, und ich will nicht, dass sie sich um mich Sorgen machen, wenn ich nicht mal hier bin.«
»Sollten sie sich daran gewöhnen, Steve?«, fragte Dvorak ganz leise.
»Was denn? Denkst du an all die ›verdammten Seelen der Untoten‹ oder was?«
Buchevsky klang in erster Linie amüsiert, doch Dvorak sah ihn ernst an und nickte. »Glaub ja nicht, ich wäre nicht dankbar. Und glaub nicht, ich hätte Gott nicht auf Knien gedankt, als ich gehört habe, was geschehen ist. Aber genau das ist der springende Punkt. Ich nehme Gott nicht so ernst, wie dein Dad das macht. Und das bedeutet, dass ich verstehen kann, wieso er die gleichen Fragen stellen könnte wie ich.«
»Natürlich kannst du das verstehen«, erwiderte Buchevsky. »Anders könnte es ja auch nicht sein. Aber …« Er griff in sein Hemd, und als seine Hand wieder zum Vorschein kam, da hielt er ein kleines, schönes silbernes Kreuz in den Fingern, das Shania ihm vor nicht einmal einem Jahr geschenkt hatte. Es glänzte im Mondschein, als er es Dvorak hinhielt.
»Siehst du das?«
Dvorak betrachtete das Kreuz und berührte es behutsam. Die Handfläche, auf der es lag, war kühl. Nicht kalt, sondern einfach nur kühl. Die Haut fühlte sich weder verschrumpelt noch ledrig an, sondern so, wie sich Haut nun mal anfühlte, außer dass sie keine Wärme abstrahlte.
»Hollywood hat das völlig falsch dargestellt, Dave«, ließ Buchevsky ihn wissen. »Vampire sind immer noch … menschlich. Wir sind gewandelt, und ich werde nicht behaupten, dass diese Wandlung eine angenehme Erfahrung war. Ich werde auch nicht behaupten, dass es nichts gibt, was mir fehlen wird – weil mir eine ganze Menge fehlen wird –, jetzt, da ich nicht mehr das bin, was Vlad einen ›Atmer‹ nennt. Aber deswegen sind wir nicht automatisch zu Monstern geworden.«
»Nicht automatisch «, wiederholte Dvorak, und Buchevsky nickte bestätigend.
»Das ist eine Entscheidung, die jeder von uns treffen muss, nicht wahr? Ungeheuer oder Engel oder … einfach nur Mensch.« Er sah Dvorak in die Augen. »Jeder kann entscheiden, dass er ein Mörder werden will. Und jeder kann entscheiden, dass er ein Arzt werden will. Das eine erfordert mehr Disziplin und ein Studium, aber beides sind Entscheidungen . Meine Entscheidung war, ein Marine zu sein, und im Dienst für mein Land habe ich einige Leute getötet. Das hat dein Schwager auch gemacht. Und du auch, vorausgesetzt, du betrachtest Shongairi als Leute. Bin ich jetzt ein Mörder oder einfach nur ein Marine?«
»Willst du damit sagen, dass Vlad Drakulya nur ein missverstandener Mann ist?«
»Natürlich nicht.« Zum ersten Mal an diesem Abend regte sich eine Spur von Verärgerung in Buchevskys Stimme. »Er wäre sogar der Erste, der dir sagen würde, dass es so nicht abgelaufen ist. Die Wahrheit ist, Vlad war ein Monster … aber das hatte für ihn schon gegolten, lange bevor er das Atmen aufgehört hatte. Er wurde nicht erst zum Monster, als er ein Vampir wurde. Das bedeutete für ihn nur, dass er noch monströsere Dinge tun konnte. Und genau das hat er auch eine Weile gemacht. Du kannst ihn gern fragen.«
»Danke, ich verzichte.«
Dvorak lief ein Schauer über den Rücken. Er war Drakulya mittlerweile zweimal begegnet, und auch wenn er das Gefühl hatte, dass er sich in der Gegenwart dieses Mannes nicht ganz so unbehaglich fühlte wie viele andere an seiner Stelle, lagen doch Welten zwischen »nicht ganz so unbehaglich« und »behaglich«.
»Dieser Mann – unabhängig davon, was er sonst noch sein mag, ist er doch ein Mann, Dave, das kannst du mir glauben – hat fünfhundert Jahre lang gelernt, kein
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