Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
den etwas Heiklen, indem ich fragte: »Steht denn dieser Deutschlehrer so hoch, daß er nicht zu mir kommen kann?«
»Durchaus nicht. Er ist so demütig, wie sein Stand es verlangt. Nur ist er leider steinalt und gichtgeplagt, so daß er sich auf seinen Krücken nicht fortbewegen kann. Gleichwohl, lieber Pierre, mag seine sterbliche Hülle auch so wenig anziehend sein wie die des Sokrates, sie umschließt ebensolche Schätze. Sein Wort ist Honig. Ihr werdet entzückt sein!«
Hierauf führte er den Feenring an seine Lippen und schwieg mit einer Beharrlichkeit, daß ich nichts weiter zu fragenwagte. Dabei lächelte er still in sich hinein, vermutlich weil er gehabter Seligkeiten gedachte oder etwa noch köstlicherer, die seine Fee ihm bescheren sollte.
So hatte ich alle Muße, mit den Augen unseren Weg zu verfolgen. Die Karosse fuhr am Louvre vorüber und den Quai de la Mégisserie entlang, dann bog sie nach rechts ab und rollte über den Pont Neuf, den ich sehr liebte, zum einen, weil diese Brücke tatsächlich ganz neu war, sie stand ja erst seit einem Jahr, zum anderen, weil ich sie sehr schön fand, und endlich, weil Henri sie hatte erbauen lassen.
Jedoch fuhr die Karosse nun nicht durch das befestigte Tor, wie ich erwartet hatte, sondern rechts ab in die Rue des Bourbons und hielt vor einem so schönen Palais, daß ich mich verwundert fragte, wie ein Schullehrer so wohnen konnte.
»Das ist gar kein Wunder«, meinte Bassompierre. »Er unterrichtet die Kinder der Adelsfamilie, die in diesen Mauern wohnt. Der Alte hat hier sein Kämmerlein.«
»Wie!« sagte ich, »soll ich gemeinsam mit den Kindern unterrichtet werden?«
»Mitnichten!« sagte Bassompierre. »Man wird große Sorge um Euch tragen: Ihr werdet gesondert herangenommen.«
Nachdem man uns in den Hof hatte einfahren lassen, erschien ein Hofmarschall, der Monsieur de Réchignevoisin hinsichtlich des Schmerbauchs nichts zu neiden hatte – aber bekanntlich ehrt ein wohlbeleibter Majordomus ein großes Haus –, und ging uns voraus in einen Saal, der zwar nicht so prächtig war wie der von Madame de Guise, aber den unseren daheim an Reichtum weit übertraf. Er war herrlich ausgestattet mit flandrischen Tapisserien, mit Orientteppichen, Samtgardinen, Lehnsesseln, Zangenschemeln und mit wunderhübschen deutschen Kabinettschränken, die durch ihre Einlegearbeit, ihre schlanke Form und ihre geschweiften Nußbaumfüße mein Auge sogleich anzogen.
Der Hofmarschall hieß uns Platz nehmen, dann verschwand er unter Verbeugungen, und ich machte mich auf langes Warten gefaßt. Schließlich mußte mich Bassompierre zuerst der Hausherrin vorstellen, und wer wüßte nicht, daß keine Person des anderen Geschlechtes sich den Blicken eines Mannes, und sei es im eigenen Hause, aussetzte, ohne ihren Teint noch einmal aufzufrischen. Ich täuschte mich. Keine zwei Minuten warenvergangen, als eine Dame von majestätischer Erscheinung und von sehr schönem Angesicht den Saal betrat. Bassompierre erhob sich und schritt ihr leichtfüßig entgegen, während ich bei meinem Lehnsessel stehenblieb, da ich nicht näher zu treten wagte, bevor er mich riefe. Wozu er mir aber noch kaum geneigt schien, weil er sich mit unserer Wirtin angelegentlich unterhielt. Ich konnte nicht verstehen, was sie einander sagten. Aber nach guter Beobachtung der Physiognomie seiner Gesprächspartnerin dünkte es mich, daß sie auf vertrautem Fuß mit ihm stand, ihn aber auf Abstand hielt, so als kenne sie ihn seit langem, ohne ihn so zu lieben, wie er es wünschte und erwartete, da ihm ja sonst alle Damen des Hofes zu Füßen lagen. Nur mußte diese hier von sehr anderer Gattung sein. Auf ihrem Gesicht lagen ein Ernst, eine Würde, die Bassompierre mehr Respekt abzunötigen schienen, als er den Damen üblicherweise bezeigte. Einmal sah ich sie die Brauen runzeln, und sie erhöhte leicht die Stimme, als sie im Ton des Vorwurfs sagte: »Wirklich, Graf, Sie sind unverbesserlich.«
Da dieses
a parte
länger dauerte als erwartet, konnte ich auch die Aufmachung der Hausherrin im einzelnen betrachten und stellte mit Überraschung fest, daß sie höchst einfach gekleidet war; sie trug ein mattblaues Seidenmieder und einen Reifrock aus dem gleichen Stoff, ohne jede Stickerei, ohne Besatz, Perlen oder anderen Schmuck als einen mit Diamanten besetzten goldenen Anhänger, der ein kleines Dekolleté zierte. Der Grund, weshalb diese Schlichtheit, um nicht Simplizität zu sagen, mir nicht sofort aufgefallen war, lag
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