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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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glaubte, sie bereite den Schmaus für sich. Aber als sie fertig war, legte sie die Waffel auf ein Tellerchen und reichte es mir, indem sie lächelnd sagte, ich solle achtgeben und mich nicht bekrümeln, wenn ich in das Gebäck hineinbisse.
    Mich beglückte diese Fürsorge so besonders, weil Madame de Guise trotz ihrer großen Liebe zu mir niemals auf einen solchen Einfall gekommen wäre. Madame de Guise war eine gute Mutter, aber nicht sehr mütterlich. Ihre Launen, ihre Eifersucht, ihre Zornesausbrüche, ihre Geldsorgen, die beständigen Ängste um ihre Söhne, die Aufgeregtheit, in der sie lebte, ihre stürmische Freundschaft mit der Königin, ihr stets waches Bewußtsein, eine Fürstin von Rang und Überzeugung zu sein gemäß ihrem berühmten Wort, sie habe »nur eine Herrin: dieJungfrau Maria« –, all das ließ ihr wenig Muße, mir die Liebe zu beweisen, die sie für mich empfand.
    Und diese kleinen Aufmerksamkeiten muteten bei Frau von Lichtenberg ganz natürlich an. Dazu erfuhr ich später, daß sie in ihrem Land als Cousine zweiten Grades des Kurfüsten von der Pfalz eine ebenso hohe Dame war wie Madame de Guise. Nur war sie zu jener Einfachheit der Sitten erzogen worden, die der Kalvinismus fordert, und war in erster Linie ein gütiger Mensch. Also versuchte sie auf ihre Weise, die kleine Verwundung der Eitelkeit wettzumachen, die Bassompierre mir zugefügt hatte.
    Es gelang ihr wunderbar. Da kniete ich denn auf dem Schemel, aß und trank mit ihr (die gar nicht daran dachte, den handfesten Appetit zu verhehlen, den die Natur ihr gegeben hatte), und genoß es, daß sie eine so bezaubernde Intimität zwischen uns geschaffen hatte, einfach indem sie mir eine Waffel bestrich.
    Sie sagte bei dieser ersten Begegnung nicht viel, stellte mir nur mit leiser, melodischer Stimme Fragen nach meinen Studien, nie jedoch nach meiner Familie, und vor allem war sie dabei so ruhig, so überlegt, ohne jene Versessenheit, Esprit zu zeigen, der unsere höfischen Schönheiten anhingen.
    Als ich meine erste Waffel gegessen hatte, bestrich sie mir eine zweite, als sei es beschlossene Sache, mich ja nicht hungers sterben zu lassen, solange ich unter ihrem Dach weilte. Zuzusehen, wie ihre hübschen Finger die Konfitüre anmutig mit dem Löffel ausbreitete, erfüllte mich mit Bewunderung, mehr aber noch mit einem Gefühl des Glücks und der Geborgenheit, dessen Quelle doch so einfach war.
    Dieser Imbiß dünkte mich kurz, und als der Diener das Tischchen weggeräumt hatte, geriet ich in einen kleinen Zwiespalt, denn obwohl die Etikette forderte, daß ich nun um Urlaub bäte, konnte ich mich dazu nicht überwinden und schob den Moment immerzu hinaus, so glücklich war ich, daß ich dort sein durfte, so nahe ihrer Person, mein Knie an ihren Rockfalten, und ganz im Zauber der friedlichen Worte, die wir wechselten.
    Sie zog mich aus der Verlegenheit, indem sie sagte, sie habe eine Angelegenheit, ihr Personal betreffend, zu regeln, deshalb könne sie mich nicht länger dabehalten, ihre Karosse werdemich nach Hause fahren, aber sie erwarte mich am Mittwoch, dem dritten Dezember, zu meiner ersten Stunde, dann würde sie mir mehr Zeit widmen können. Sie sagte dies auf die verbindlichste Weise, indem sie mich ernst aus ihren großen schwarzen Augen anblickte, so daß ich keine Sekunde an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln konnte.
    Ich war gewissermaßen nicht bei mir, als mich ihre Kutsche davontrug. Daß Frau von Lichtenberg doppelt so alt war wie ich, machte mir gar nichts aus. Ihre Schönheit, ihre Tugend, ihre Freundlichkeit hatten mein Herz im Nu erobert.
    ***
    Als ich am Mittwoch, dem dritten Dezember, zu mir kam und meine verschlafenen Augen noch zögerten, zu erkennen, was für ein Licht es sei, das die nicht ganz geschlossenen Vorhänge zu meinem Fenster hereinließen, überkam mich auf einmal eine so starke Heiterkeit, daß es mich verwunderte, weil ich zunächst gar nicht auf die Ursache kam. Nach und nach aber bekam alles seinen Platz: die Vorhänge, der Lichtstreif, meine Kammer, das Bett, ich selbst, der Wochentag, und nun wußte ich auch wieder, daß ich an ebendiesem Tag, in der dritten Stunde des Nachmittags, meine erste Lektion bei Frau von Lichtenberg haben würde.
    Nach dem Waschen und Ankleiden sprang ich die Wendeltreppe hinunter, als wollte ich mir den Hals brechen, gesellte mich zu meinem Vater und La Surie, die im großen Saal beim Frühstück saßen, umarmte beide und machte mich freudig und mit Heißhunger über meine

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