Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
mir einen Arm um die Schultern legte und mich an sich drückte, »bitte, verübelt mir meinen Lachanfall nicht, aber wie soll man darauf kommen, daß die deutsche Sprache so große Reize für Euch hat, daß sie Euch über alles geht, noch bevor Ihr sie überhaupt gelernt habt? Bitte, haltet Euch vor Augen, daß die deutsche Sprache auch in der nächsten Woche noch dasein wird, wenn Ihr von Saint-Germain zurückkehrt, sie wird getreulich auf Euch warten mit ihren netten
der
,
die
,
das
, ihren entzückenden Beugungen, ihren endlos zusammengestzten Substantiven und ihrem so elegant ans Satzende verstoßenen Verb! Wahrlich, dieser Mittwoch ist für Euch Heil und Unheil in einem, das begreife ich nun. Aber macht es bitte nicht wie Gargantua, der, als seine Gemahlin Badebec bei der Geburt Pantagruels gestorben war, nicht wußte, sollte er wegen seiner Frau zu Tode betrübt sein oder sich über sein Söhnchen freuen, und ›bald greinte wie eine Kuh, bald wie ein Kalb lachte.‹«
»Miroul«, sagte mein Vater, halb lächelnd, halb ärgerlich, »das reicht! Mein Sohn, schreibt Frau von Lichtenberg eine höfliche Entschuldigung, daß Ihr sie heute auf Befehl des Königs versetzen müßt, und bittet sie, Euch nach Eurer Rückkehr zum Unterricht zu empfangen. Das übrige besorgt unser Laufbursche.«
Ich traute meinen Augen nicht, als ich wenige Stunden später in der Karosse des Königs saß, an seiner Seite, und uns gegenüber Vitry, Roquelaure und Angoulevent, denen ich auf dem Ball der Herzogin von Guise schon einmal in Gesellschaft des Königs in der »Kammer der Bequemlichkeiten« begegnet war.
Der König hatte mich liebenswürdig im Louvre empfangen, mich »kleiner Cousin« genannt und mir einen Arm um die Schulter gelegt. Ich glaubte also, er sei fröhlich und vergnügt, doch kurze Zeit, nachdem wir in der Kutsche saßen, wechselte seine Stimmung. Er fiel in eine Art Schwermut und trommelte nachdenklich und mit gesenkten Augen auf sein Brillenetui, sprach kein Wort, und niemand in der Karosse wagte einen Ton zu sagen. Da »Dummenfürst« Angoulevent zwischen Vitry und Roquelaure saß, sah ich, wie beide Gevatter ihn durch verstohlene Blicke oder durch Püffe mit dem Ellbogenaufforderten, irgend etwas Spaßiges herauszulassen, um den König seiner Traurigkeit zu entreißen. Doch Angoulevent tat es nicht. Er sah zu, wie Henri auf seine Brille klopfte, blieb stumm und gab sogar vor, durch das Stuckern der Karosse einzuschlummern.
Sie stuckerte wirklich sehr, vor allem seit wir die Stadt verlassen und die holprigen Landstraßen in Richtung Saint-Germain eingeschlagen hatten, obwohl sie meinem Vater zufolge unendlich viel besser geworden waren, seit Sully den Straßen- und Wegebau leitete.
»Sire«, sagte Roquelaure, indem er seine dicke rote Rübe vorstreckte, »plagt Euch noch immer die Gicht in der großen Zehe?«
»Du hinkst hinterher, Roquelaure!« sagte der König ziemlich unwirsch. »Die Gicht hat mich zuerst in der großen Zehe besucht, aber von da ist sie bald ins Knie gewandert, wo sie mich so umschmeichelt hat, daß ich mir schon vor drei Jahren, mitten auf der Jagd, den Stiefelschaft habe aufschneiden lassen, so hat sie mich gezwiebelt. Aber bei schönem Wetter wie heute läßt mich das Luder in Ruhe. Dafür hab ich ein anderes Zipperlein: der Magen krampft sich. Ich trau mich kaum mehr zu essen, so tut er weh. Ach, Roquelaure! Wo sind die Zeiten hin, als ich schlemmen konnte, ohne mich um die Verdauung zu sorgen! In Ivry, weißt du noch? Der Abend vor meinem Sieg zu Ivry?«
»Damals«, sagte Roquelaure, und ein Lächeln spaltete sein breites Gesicht, »damals wart Ihr gerade exkommuniziert worden und habt reingehauen wie der Teufel.«
Auf diesen Scherz lachte Henri ganz harmlos. »Der König«, sagte mein Vater, als ich ihm dies berichtete, »hat unrecht, so zu lachen. Er ist höchst unvorsichtig. Solche Reden sprechen sich im Nu herum, sofort wird seine Bekehrung wieder in Zweifel gezogen, und die Frömmler haben gegen ihn neue Waffen.« – »Aber, Herr Vater, war seine Bekehrung denn aufrichtig?« 1 – »Sie war politisch aufrichtig, mehr kann man von einem großen Staatsmann nicht verlangen, der das Ziel hat, seine Untertanen auszusöhnen.«
Henris Lachen aber hielt nicht an. Er verschloß sich wieder in seine Gedanken, mürrisch und beharrlich stumm.
Was diese Gedanken anbetraf, konnte ich mir deren Tenor mühelos vorstellen: Der Feind im Osten, im Norden, im Süden; im Innern des Landes die
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