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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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nicht darauf gefaßt, ihn dort zu sehen, und vergaß in der Überraschung seinen Groll. Er lief fröhlich hin und streckte ihm seine Ärmchen entgegen. Der König erblaßte, aber diesmal vor heftiger Freude über diesen Empfang, stieg ab, warf die Zügel seinem Reitknecht zu, schloß den Dauphin in seine Arme, küßte ihnhundertmal, und das Kind gab ihm seine Küsse zurück, beide waren überglücklich und gingen gemeinsam zum Schloß, der König hielt ihn an der Hand und zeigte ihm die Arbeiten, die derzeit im Park von Saint-Germain-en-Laye im Gange waren.«
    »Schlaft Ihr, Siorac?« fragte Héroard nach einer Weile.
    »Mitnichten, Monsieur, die Geschichte hat mich bewegt und gab mir zu denken.«
    »Nämlich was?«
    »Daß es für einen König schwerer ist, einem dreijährigen Knaben zu befehlen als einem gewaltigen Heer.«
    »Das ist gut gedacht! Und nun, schöner Neffe, laßt uns schlafen. Unsere Nacht ist kurz.«
    ***
    Sommers wie winters ließ sich Doktor Héroard, der einen ebenso tiefen wie geräuschvollen Schlaf hatte, von seinem Diener um sechs Uhr früh wachrütteln, weil der Dauphin zwischen halb sechs und halb sieben Uhr zu erwachen pflegte und der gute Doktor bei seinem Lever zugegen sein wollte, um seinen Urin, seinen Kot zu beschauen, seine Zunge zu prüfen, seinen Puls zu fühlen und zu beobachten, ob sein Gesicht froh oder bekümmert war, alles Dinge, die er gewissenhaft in seinem Tagebuch festhielt.
    Da ich ihm gesagt hatte, daß der König mich auf acht Uhr an sein Bett befohlen habe, ließ er mich um sieben Uhr wecken, und um halb acht, nach meiner ziemlich oberflächlichen Toilette, brachte er mir eine große Schale Brühe, drei Scheiben Brot und frische, gesalzene Butter. Ich hielt ein Festmahl, da ich am Abend zuvor ja fasten mußte, weil der König mich so spät entlassen hatte.
    Ich war beinahe fertig, als ich zu meiner Überraschung meinen Vater vor mir auftauchen sah, nicht weil er sich gesorgt hätte, wo ich geblieben sei – Bassompierre hatte ihn freundlicherweise benachrichtigtigen lassen –, sondern weil er sich wegen meines Wohlergehens beunruhigte, da er wußte, wie es auf diesem Gebiet im Louvre bestellt war. Er war höchst erfreut zu sehen, wie ich mit vollen Backen kaute, umarmte mich und nahm Platz, während ich ihm zwischen zwei Bissen alles erzählte, was ich gesehen und gehört hatte.
    »Seine Augen und Ohren offenzuhalten«, sagte er, »ist der Anfang zur Weisheit.«
    »Aber nicht zum Verstehen«, sagte ich. »Wie ist es zu begreifen, daß die Rechnungskammer von Nantes die Frechheit hat, das bretonische Edikt zu ignorieren und auf drei Kabinettsbefehle hin stumm zu bleiben, und daß sie sich weigert, das Edikt zu ratifizieren?«
    Mein Vater lachte aus vollem Halse.
    »Das ist wieder eine der kleinen Schofeleien unseres listigen Béarnaisers 1 ! Da er weiß, daß die Königin das Geld mit vollen Händen vergeudet und mit Wucher borgt, um sich Diamanten zu kaufen, hat er ihr die Einnahmen des bretonischen Edikts überlassen. Aber was er ihr mit der einen Hand gibt, das nimmt er mit der anderen; so hat er sich unterderhand mit der Kammer von Nantes verständigt, daß sie einem Kabinettsbefehl nur gehorchen soll, wenn er von ihm eigenhändig geschrieben und unterzeichnet ist. Und diesen handgeschriebenen Brief schickt er selbstverständlich nie ab.«
    In dem Moment trat Doktor Héroard herein, umarmte meinen Vater und sagte mir, der Dauphin habe sich erinnert, daß ich in seiner Kammer übernachtet habe, und wolle mich sehen. Ich lief in seine Gemächer, wo ich ihn ganz angekleidet, rosig und frisch fand, und er lächelte mir höchst anmutig zu, indem er mir seine Patschhand zum Kuß reichte. Er wollte wissen, was ich beim König zu tun hätte.
    »Monsieur«, sagte ich, »ich lese Seiner Majestät vor.«
    »Was soll das?« fragte er und tat überrascht. »Kann mein Vater der König nicht lesen? Ich konnte es schon mit sieben Jahren!«
    »Oh, doch!« sagte Monsieur de Souvré, »gewiß kann Seine Majestät lesen, aber da Sie zu Bett liegt und leidend ist, findet es Seine Majestät bequemer, sich vorlesen zu lassen.«
    »Für mich wäre das auch bequemer!« sagte Louis aufseufzend. »Siorac«, schloß er an, »seid Ihr verliebt?«
    Ich warf einen Blick zu Monsieur de Souvré, der mir durch Mienenspiel bedeutete, ich solle nein sagen.
    »Nein, Monsieur«, sagte ich.
    »Aber ich bin es«, sagte Louis. »Meine Geliebte ist Mademoisellede Fonlebon, eine Jungfer der Königin. Gestern

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