Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
dumm: er ist vorsichtig. Wie den deutschen Fürsten geben auch ihm die gewaltigen Ansammlungen von Truppen, Kanonen und Geld bei uns schwer zu denken. Würde er unserem Henri helfen, stünde zu fürchten, daß dieser zu stark würde und ihm vielleicht der Appetit beim Essen käme.«
Nachdem Henri sich also Luft gemacht hatte, diktierte er mir seinen vollendet höflichen Brief, dann schloß er mich für die Zeit ein, die ich zum Übersetzen benötigte und erlöste mich eine Stunde darauf. Und während er die beiden Texte, den französischen und den englischen, in seinem Wams verstaute, sagte er, daß Bassompierre mich nach Hause fahren würde, doch müßte ich darauf noch eine gute Stunde warten, denn er wolle mit ihm und einigen anderen noch eine kleine Partie spielen. So bat ich um die Erlaubnis, derweile den Herrn Dauphin besuchen zu dürfen, und er übergab mich einem Türsteher, damit er mich in die Gemächer seines Sohnes führe.
Als ich dort eintrat, stieß ich fast mit dem Dauphin zusammen, der im Begriffe stand, auszugehen. Sowie er mich erblickte, errötete er vor Freude, sprang mir an den Hals, küßte mich auf die Wangen und sagte zu Monsieur de Souvré: »Monsieur de Souvré, beliebt es Euch, daß Monsieur de Siorac mitkommt zu meiner kleinen Schwester?«
Mir fiel auf, daß seine Aussprache, seit ich ihn letztesmal sah, große Fortschritte gemacht hatte. Er bewältigte jetzt jedes »r«. Wie ich im stillen überschlug, war er nun acht Jahre und zwei Monate alt, und ich freute mich, wie gut er vorangekommen war. Dennoch stotterte er noch gelegentlich.
»Gerne«, sagte Monsieur de Souvré, den ich sogleich begrüßte wie auch den Doktor Héroard, der hinter ihm kam.
Als wir das Kabinett betraten, wo Henriette-Marie schlief, machten die drei Damen, die um die Wiege wachten, Louis eine so tiefe Reverenz, daß ihre Reifröcke sich auf dem Parkett bauschten wie Blütenkronen. Der Dauphin zog seinen Hut und ging, ihn am gestreckten Arm haltend, zu der Wiege, beugte sich darüber und faßte Henriettes Händchen.
»Lacht, Schwesterchen«, sagte er mit zarter Stimme, »lacht, lacht, Kindchen!«
Henriette lag mit geschlossenen Augen da und konnte noch nicht lachen, aber als ihr Händchen den Zeigefinger des großen Bruders zu fassen bekam, umschloß es ihn. Er war darüber so entzückt, als wäre dies ein großer Liebesbeweis.
»Seht Ihr, Monsieur de Souvré«, sagte er, »sie drückt meine Hand.«
In dem Moment trat Madame de Guercheville mit Mademoiselle de Fonlebon herein, welche mir jedesmal, wenn ich sie sah, noch schöner erschien. Louis tauschte mit ihr Grüße und fragte errötend: »Mademoiselle de Fonlebon, darf ich Euch küssen?«
»Gern, Monsieur«, sagte Mademoiselle de Fonlebon und ging ins Knie, um sich auf seine Höhe zu begeben.
Madame de Guercheville, die sich huldvoll erinnerte, wer ich war, streckte mir ihre Fingerspitzen hin. Mademoiselle de Fonlebon aber trat lächelnd auf mich zu, nannte mich »mein Cousin« und reichte mir ihre Wange.
»Siorac!« rief der Dauphin, als stäche ihn die Eifersucht, »Ihr küßt Mademoiselle de Fonlebon? Habe ich Euch darum gebeten?«
»Monsieur«, sagte ich, »um Vergebung, aber sie ist meine Cousine, denn sie ist eine Caumont wie meine Mutter.«
»Ah, das ist etwas anderes!« meinte der Dauphin.
»Monsieur«, sagte die Marquise de Guercheville zu ihm, »die Königin wünscht, Euch zu sehen, und ich komme, Euch zu ihr zu bringen.«
Auf Louis’ Gesicht malte sich heftiges Widerstreben, und alle Anwesenden waren betreten. Jeder hier wußte, daß es zwischen der Königin und diesem doch so liebenswürdigen Sohn sehr wenig Liebe gab. Ich weiß nicht, wo ich gelesen habe, daß er sich ihr einzig nahe gefühlt habe, als sie ihn im Leibe trug. Mit dem Satz ist alles gesagt.
Der Dauphin war so verdrossen, daß man eine jener Szene befürchten mußte, wo sein Starrsinn sich in Tränen, Geschrei und Zähneknirschen entlud. Doch geistesgegenwärtig beugte Mademoiselle de Fonlebon vor ihm das Knie und fragte sanft: »Monsieur, beliebt es Euch, meine Hand zu nehmen, dann gehen wir miteinander durch die Galerie des Feuillants zur Königin?«
Der Dauphin neigte froh und wortlos den Kopf. Doch bevor er Mademoiselle de Fonlebon bei der Hand faßte, verabschiedete er sich von mir, der ich ja nur als Gast hier war. Darauf nahm Doktor Héroard mich beim Arm und führte mich in sein Zimmer.
»Mein Neffe«, sagte er, »wenn Ihr warten müßt, bis Bassompierre
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