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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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aufhört zu spielen, wartet Ihr womöglich noch Stunden und sterbt mir vor Hunger. Laßt Euch eine kleine Labe vorsetzen, damit Euer Magen nicht ungeduldig wird.«
    Aus seinem eigenen Vorrat bot er mir Brot, Pastete und ein Glas Wein. Und mit großem Dank erwies ich seinem Imbiß die Ehre.
    Doktor Héroard erzählte, wie Louis drei oder vier Tage vor Henriettes Geburt gesehen hatte, daß man in das Kabinett, das dem Neugeborenen bestimmt war, eine Wiege trug. Sogleich wollte er die Wiege selbst an ihren Platz stellen, er legte die Matratze hinein und bereitete das Bettchen. Dann legte er sich mit seinem kleinen Hund Vaillant hinein und verlangte, daß man ihn schaukele. Als Héroard geendet hatte, fragte ich ihn, was er darüber denke, da ich dieses Spiel für einen achtjährigen Knaben verwunderlich fand. Aber Héroard gab eine ausweichendeAntwort, die seiner Bedachtsamkeit alle Ehre machte, und wollte sich nicht äußern. Mich aber rührte die Geschichte sehr, ohne daß ich erklären könnte, warum.
    Der Page, dem Héroard mich anvertraute, als ich von ihm Urlaub nahm, führte mich durch das bekannte Labyrinth zu dem Gemach, wo der König seiner Spielleidenschaft zu frönen pflegte. Es war ein großer Raum mit zwei Fenstern, die mit karmesinroten und goldgefransten Samtvorhängen verschlossen waren. Die Lichte auf den Lüstern brannten und auch die auf den Wandleuchtern, und da der Raum keinen Kamin hatte, spendete eine Glutpfanne eine Wärme, die man an diesem Novemberabend als angenehm empfunden hätte, wäre sie nicht mit soviel Qualm einhergegangen. Gleichwohl machte das Gemach beim Betreten einen ziemlich behaglichen Eindruck; es war ringsum mit flandrischen Tapisserien bespannt, und unter dem großen runden Tisch in der Mitte breitete sich ein Orientteppich, dessen warme Farben bei dem grauen, naßkalten Wetter besonders erfreuten. Doch weiß ich nicht, ob die Spieler, die um den Tisch saßen, in ihrem Fieber all dieser Wärme bedurften.
    Es waren ihrer sechs: der König, Bassompierre, der Herzog von Guise, der Herzog von Épernon, der Marquis de Créqui, und da ich ihn nicht ausstehen mag, wage ich ihn, wenngleich Prinz von Geblüt, als letzten zu nennen: der Comte de Soissons, der von seinem Liliengroll auf einem seiner Schlösser kurz zuvor in den Louvre zurückgekehrt war.
    Nachdem ich meinen Kniefall vor dem König gemacht und ihm die Hand geküßt hatte, die er mir gnädig eine Viertelsekunde ließ, grüßte ich die Anwesenden, die meinen Gruß sehr unterschiedlich erwiderten: Bassompierre mit einem breiten Lächeln, mein Halbbruder Guise mit einem halben Lächeln, der Marquis de Créqui durch ein Kopfnicken, der Herzog von Épernon, indem er ein Auge zukniff, und der Comte de Soissons überhaupt nicht.
    Offensichtlich war die Partie noch längst nicht zu Ende, und ich wäre mir höchst überflüssig vorgekommen, hätte der König nicht gefragt: »Spielst du, Siorac?«
    »Er spielt weder, noch wettet er«, sagte Bassompierre. »Er ist eine reine Seele.«
    »Wenn er eine reine Seele ist«, sagte der König tiefernst,»dann ist das die letzte hier und wird mir Glück bringen! Schnell, einen Schemel hierher zu meiner Rechten, für den Chevalier de Siorac.«
    Ich setzte mich, weniger geschmeichelt, als ich es hätte sein sollen, denn es fuhr mir durch den Sinn, daß ich nun eine endlose Zeit unbeweglich und stumm auf diesem Schemel hocken müßte, ohne etwas Interessantes zu hören und ohne das Geringste von dem Spiel zu verstehen, dem sich alle so leidenschaftlich hingaben, bald freudig erregt, und bald mit hängendem Kamm, je nach ihrem Glück. Aber so unzufrieden ich im stillen auch sein mochte: der König strahlte. Seit ich da war, hatte sich das Häufchen Ecus vor ihm verdreifacht, und dies schrieb er ohne jede Ironie der »reinen Seele« neben ihm zu.
    Gestört wurde das Fest durch den Chevalier du Gué. Außer Atem, rot und zitternd erschien er und schrie mit stotternder Stimme: »Sire, der Prinz von Condé hat heute in der Frühe die Prinzessin, seine Gemahlin, entführt: sie haben Muret gegen vier Uhr verlassen und reisen gen Norden.«
    In dem Schweigen, das auf diese Nachricht folgte, erhob sich der König mit wächsernem Gesicht und derart schwankend, daß er sich auf meine Schulter stützen mußte. Angst entstellte sein Gesicht, und er verharrte einen Augenblick, bevor er überhaupt sprechen konnte, aber was mich am meisten frappierte, er hielt seine Karten noch in der Hand, die er aus einer

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