Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
»Miroul« wohl Vergebung für dieses Schweigen erbat. Der Chevalier verstand es auch so, denn über sein feines, kantiges Gesicht flog ein Lächeln, und sein braunes Auge leuchtete, während sein blaues Auge ungerührt blieb. So lange er bei uns lebte – und das, Gott sei Dank, so lange, bis er meinem Vater wenig später ins Grab folgte –, habe ich diesen Ausdruck Tausende Male im Gesicht des Chevaliers gesehen. Und er hat mich stets gerührt, auch wenn ich noch zu jung war, um in Worte zu fassen, was er besagte: eine grenzenlose Liebe zu meinem Vater, die seine kleinen Winkelzüge amüsiert betrachtete.
»Schön«, sagte der Chevalier nach einiger Überlegung, »Ihr kennt den König. Er hat viel Humor, ist klug, schnell entschlossen, erzählt lebhaft und gut, er liebt geistvolle Einfälle, verabscheut langes Gerede: also berichtet ihm bündig und mit Witz, was sich zutrug, nachdem die Herzogin Pierre und Toinon überrascht hatte.«
»Um Himmels willen!« rief ich aus.
Und mein Vater lachte.
»Da seht Ihr’s!« fuhr der Chevalier fort, »der König wird ebenso lachen und vor Lachen nicht daran denken, Eure Weigerung übelzunehmen. Außerdem, da auch er, wie dieHerzogin sagt, ›ein Faß ist, das nach dem Hering stinkt‹, wird er Eure hugenottische Sorge um die Erziehung Eures Sohnes bestens begreifen.«
»Ein guter Gedanke«, sagte mein Vater. »Ich hoffe, Seine Majestät übermorgen zu sehen, und wenn ich ihn dann allein sprechen kann, werde ich ihm die Sache so erzählen, wie Ihr gesagt habt. Und hierüber«, fügte er hinzu, indem er aufstand, »will ich jetzt in aller Muße in meinem Bett nachdenken.«
»Denkt auch daran«, sagte La Surie, »daß Ihr der Herzogin ein schönes Geschenk macht ...«
»Wie?« sagte mein Vater mit gespielter Entrüstung, »Ihr, mein Herr Chevalier, wollt mich zu üppigen Ausgaben verleiten? Wo Ihr mit meinen Finanzen sonst so sparsam seid und jeden überflüssigen Luxus ächtet!«
»Im antiken Griechenland«, sagte der Chevalier, »beeilte sich ein jeder, der eine Göttin auch nur im mindesten gekränkt hatte, ihr ein Opfer zu Füßen zu legen.«
»Das ist ja hübsch! Aber wofür, zum Teufel, sollte ich um Verzeihung bitten, etwa dafür daß ich recht hatte?«
»Genau das«, sagte der Chevalier. »Es ist ein großes Unrecht, gegen einen Freund recht zu behalten, viel mehr aber noch gegen eine Geliebte.«
»Dann müßt Ihr mir auch ein Geschenk machen«, sagte mein Vater lachend.
Und nachdem er ihn herzlich umarmt hatte, legte er mir einen Arm um die Schultern und begleitete mich zu meiner Kammer, die neben der seinen lag.
Am Tag nach seinem Streit mit der Herzogin erfuhr mein Vater im Louvre, daß Sully den König am Donnerstag morgen beim Lever allein sprechen sollte, und so bat er diesen, ihn begleiten zu dürfen. Wie er mir sagte, hatte er sich zu diesem Schritt nicht ohne Widerstreben entschlossen. Er hatte den Herzog von Sully sehr gut zu einer Zeit gekannt, als dieser weder Herzog noch Sully war. Damals hieß er schlicht Rosny wie sein Vater, ein hugenottischer Edelmann guter, aber unbedeutender Herkunft. Durch seine Tapferkeit, seine Königstreue und seine Talente in der Finanzverwaltung hatte Sully seine Beförderung unbedingt verdient. Doch hatte er sich überall verhaßt gemacht durch sein anmaßendes Gebaren. Nicht allein, daß er ewig seine Tugenden herausstrich und sichmit seinen Verdiensten brüstete, die ja groß waren – er legte sich auch noch die von anderen bei. Und er hatte eine seltsame Manie: er beleidigte gern. Selbstverständlich erhielt er als Oberintendant der Finanzen zahlreiche Gesuche, die meistens ungegründet waren. Es genügte ihm aber nicht, sie abzulehnen. Er formulierte seine Ablehnung mit einer gewissen Geringschätzung, und je höher der Rang des Bittstellers im Staate war, mit desto mehr Schärfe wurde er beschieden. Es sah aus, als nähre sich sein Ruhm von einer Verachtung anderer, die er auch den Größten bezeigte. Diese Unhöflichkeit war ihm auf die Dauer zur zweiten Natur geworden. Sogar Ihre Majestäten waren vor seinen Ruppigkeiten nicht sicher. Er tadelte die Königin für ihre Unbedachtheiten. Er warf dem König seine Mätressen vor. Und Seine Majestät wurde dies zuletzt in einem Maße leid, daß er kurz vor seinem Tod daran dachte, ihn abzusetzen. Allerdings gab es dafür noch einen anderen Grund. Der König wußte sehr wohl, daß dieser große Moralapostel nicht nur die Staatskasse aufs beste gefüllt, sondern
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