Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
mich bei der Hand und zog mich zu sich herunter.
»Wie, Toinon?« sagte ich vergnügt, »horchst du an Türen?«
»Muß ich doch«, sagte sie karg. »Es ging schließlich um mich.«
»Du darfst bleiben, weißt du das?«
»Weiß ich«, sagte sie, »und ich bin froh. Ich fühl mich wohl hier. Wenig zu tun und nichts wie Spaß. Ach, ich war auch nicht so besorgt.«
Im Erdgeschoß wurde eine Tür geöffnet, und Licht fiel auf Toinons Gesicht. Sie kam mir nach ihrem großen Duell mit der Herzogin keineswegs zerstört vor. Ich bewunderte sie für ihren Mut, aber den Grund dafür begriff ich erst viel später: sie besaß ein unbesiegliches Vertrauen in ihre Schönheit.
»Vor zehn Minuten«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln, »da dachte man noch, sie schlagen sich gegenseitig tot, und jetzt, siehst du, sind sie dabei und lecken sich den Rotz ab. Aber so geht es in der Welt.«
»Jedenfalls«, sagte ich, »ändert sich nichts. Du bleibst im Haus, und ich bleibe bei meinen Büchern. Die große Neuigkeit ist begraben. Gott sei Dank, brauche ich nie Page des Königs zu werden!«
»Wart’s ab!« sagte Toinon.
»Was soll das heißen: ›wart’s ab‹?«
»Ich hab da meine Zweifel.«
Da ich nichts darauf zu erwidern wußte, hielt ich mich an ihren Ausdruck.
»Habe ich meinen Zweifel.«
»Entschuldigung, Monsieur, aber bei Monsieur de Bassompierre sagt man, habe ich meine Zweifel.«
»Und woher weißt du, daß er recht hat und nicht ich?« fragte ich ein bißchen eifersüchtig.
»Oh, Monsieur! Das ist bestimmt richtig: wo Ihr ein Buch habt, da hat er hundert!«
ZWEITES KAPITEL
Sobald Madame de Guise das Haus verlassen hatte, mußte ich meinem Vater wahrheitsgemäß und vollständig berichten, welche Worte gefallen waren, bevor er kam. Sogleich ließ er Toinon rufen, tadelte sie streng für ihre Dreistigkeit, die sie mit Rücksicht auf den Rang Ihrer Hoheit auch unter Beschimpfungen hätte zügeln müssen. Er verzieh ihr für diesmal, doch sollte sie sich derlei kein zweites Mal erlauben und sich vor allem hüten, darüber mit Mariette oder sonstwem zu schwatzen, wenn sie nicht auf der Stelle fortgejagt werden wollte.
Toinon war ganz Unterwerfung, senkte die Augen, weinte und versprach sich zu bessern, was meinen Vater völlig besänftigte, für mich aber weniger überzeugend war. Wie ich die Schelmin mittlerweile kannte, gratulierte sie sich insgeheim, daß sie jeden Schlag meiner armen Patin pariert hatte.
Mein Vater zog die Geschichte ins Spaßige, als er sie Monsieur de La Surie in der Bibliothek vortrug, wo er sich gerne nach der Abendmahlzeit mit dem Chevalier und mir zurückzuziehen pflegte, die Ereignisse des Tages zu besprechen und auszuwerten. Der Chevalier lauschte ihm bald bekümmert, bald belustigt, und als mein Vater verstummte, blickte er ihn eine Zeitlang schweigend aus seinen zweifarbigen Augen an und fragte ernst, ob er seine Meinung zu diesem Streit hören wolle.
»Genau das will ich«, sagte mein Vater.
»Schön«, sagte der Chevalier, »es gibt zweierlei. Zum einen meine ich, Ihr hättet Toinon entlassen sollen, da ihre Unverschämtheit das Maß überschritt.«
»Es wäre sicher das Richtige gewesen«, sagte mein Vater, »da aber die Herzogin dies ohne meine Zustimmung verfügt hatte, durfte ich mich ihrer Entscheidung nicht unterwerfen, ohne einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.«
»Vielleicht hat Euer Ehrgefühl diese Gefahr übertrieben«, sagte La Surie mit einem Lächeln. »In all den Jahren, die Ihr mit der Herzogin befreundet seid, scheint mir, daß eher siesich Euch unterworfen hat, als umgekehrt ... Wollt Ihr meine zweite Bemerkung hören?«
»Gern.«
»Nach Eurer Erzählung zu urteilen, seid Ihr Madame de Guise ein bißchen sehr rauh begegnet.«
Mein Vater warf mir einen raschen Blick zu, dann wandte er den Kopf ab und blieb schweigsam.
»Nun, es geht mich ja nichts an«, sagte La Surie nach einer Weile.
»Miroul«, sagte mein Vater und wechselte vom »Ihr« zum »du«, indem er den Chevalier bei seinem früheren Namen nannte, bevor er geadelt wurde, »du weißt, mir liegt viel an deiner Meinung, weil ich deiner Weisheit vertraue. Hast du vielleicht eine Idee, wie ich dem König, ohne ihn zu verärgern, beibringen kann, daß ich nicht den geringsten Wert darauf lege, daß Pierre sein Page wird?«
Es entging mir nicht, daß mein Vater auf die Bemerkung des Chevaliers über Madame de Guise nicht eingegangen war und daß er sich durch sein »du« und sein
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