Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman
auch seine eigene Kasse trefflich versehen hatte. Natürlich war dies bei einem Oberfinanzverwalter kein Wunder. Aber es ärgerte den König, daß eine solche Habgier sich mit einer so strengen Tugend bemäntelte.
Nun muß man sagen, daß Sully sich so anmaßend in erster Linie gegen Leute betrug, die von Rang oder Geblüt her über ihm standen. Meinem Vater, den er für zu klein hielt, um ihm übelzuwollen, zeigte er sich freundlich, und er willigte ein, daß dieser ihn am Donnerstag früh, um sieben Uhr, zum König begleite, denn donnerstags war immer Staatsrat, und der König bemühte sich, an diesem Tag zeitig aufzustehen.
Selbstverständlich hatte Sully Zutritt zum königlichen Schlafgemach. Auf dem Weg dorthin mußte er den unten liegenden Saal der Schweizer durchqueren (wo es nach Schweiß und Leder stank, wie mein Vater sagte) und dann die »kleine Treppe des Königs« erklimmen, eine sehr steile, aber günstig gelegene, geheime Wendeltreppe, über welche der König meistens den Louvre verließ.
Die Vorhänge des königlichen Betthimmels waren noch fest geschlossen, und obwohl Sully und mein Vater sich ihm nicht geräuschlos näherten, gab das königliche Paar kein Lebenszeichen von sich. Sully, der bei all seiner Hoffart doch dieFormen wahrte und sich nicht einmal erlaubt hätte zu husten, bevor nicht der König das Wort an ihn gerichtet hatte, begann nun, vor den geschlossenen Vorhängen tiefe Reverenzen zu machen, was mein Vater ihm sogleich nachtat, wobei er bemerkte, daß Sully ein steifes Rückgrat hatte, daß seine Gelenke knackten und daß seine Verbeugungen nicht allzu italienisch waren. Mein Vater mit seinem ausgeprägten Sinn für das Komische fand es im stillen unsäglich, sich derweise vor jemandem zu verneigen, der es gar nicht sehen konnte. Mit all ihren stummen Kniebeugen jedoch erweckten sie schließlich die Aufmerksamkeit des Schläfers, sei es, daß er schon halb wach war, sei es, daß er im Halbschlaf Sullys Gelenke hatte krachen hören oder aber seinen Atem wahrgenommen hatte, denn er schnaufte wie ein Blasebalg.
»Was ist? Was ist?« erklang eine heisere Frage.
»Sire«, antwortete Sully, indem er sich mit einer gewissen Feierlichkeit aufrichtete, »Euer Oberfinanzverwalter ist da.«
»Ach, du, Rosny!« sagte der König.
Und er öffnete den Vorhang auf der Besucherseite. Er hatte sich aufgesetzt, sein Oberkörper war nackt. In all den Jahren, da Henri Krieg führte, um sein Königreich zurückzuerobern, und für gewöhnlich wie »eine Schildkröte im Panzer« steckte, hatte mein Vater ihn an die hundertmal nach dem Kampf in gleicher Blöße gesehen. An diesem Tag aber fiel seinem Medizinerauge auf, wie mager der König war. Gewiß war er muskulös, aber sein dürrer Oberkörper glich einem knotigen Weinstock. Auch das Gesicht war gealtert, die Haare ergraut, die Haut trocken, und die lange Bourbonennase ragte noch länger aus den eingefallenen Wangen. Nur die Augen wirkten jung, klug, lebendig, voller Geist, und ihr Ausdruck, der von einer Sekunde zur anderen wechselte, war bald verschmitzt, bald spöttisch, bald gerührt; doch so fröhlich diese Augen auch blicken mochten, sie trugen die Zeichen von Traurigkeit und Ermüdung. Trotzdem, dachte mein Vater, hat er eine Konstitution, daß er hundert Jahre alt werden könnte, wenn er nur nicht alles bis zum Exzeß treiben würde: Trinken, Essen, Arbeit, Spiel und Hurerei.
»Ach, du bist ja nicht allein! Und wenn mich nicht alles täuscht, ist das mein alter
Vollbart
...«
»Ja, Sire«, sagte mein Vater, »es ist Siorac.«
Wem hätte ein solcher Empfang nicht geschmeichelt? Der König nannte meinen Vater »Vollbart«, weil er ihn seinerzeit so getauft hatte, als er in der Verkleidung eines Tuchhändlers, und tatsächlich durch einen Vollbart getarnt, im aufständischen Paris für Seine Majestät eine Reihe gefahrvoller Aufträge ausgeführt hatte. Henri pflegte seine alten Gefährten stets auf die Weise auszuzeichnen: so zornig er manchmal auf Sully auch war, er nannte ihn immer Rosny und duzte ihn.
»Und was willst du, Vollbart?«
»Sire«, sagte mein Vater, indem er das Knie beugte, »ich habe Euch ein Ersuchen vorzutragen.«
»Ist im voraus gewährt«, sagte Henri und lachte, »falls es weder um Geld noch um einen Gouverneursposten geht ...«
»Es geht weder um dies noch um jenes.«
»Zum Glück! Und du, Rosny, was willst du zu so früher Stunde?«
»Sire, ich bringe Ihrer Gnädigsten Majestät der Königin die zweihundert
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