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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Chevalier bezahlt.«
    »Und warum verleiht der Chevalier nicht selbst zu einem höheren Zins?«
    »Christen dürfen kein Geld mit Wucher verleihen. Aber das Verbot erstreckt sich nicht auf die Juden.«
    »Warum?«
    »Weil sie keine Christen sind.«
    »Aber«, sagte ich, »gewährt man den Juden damit nicht ein großes Privileg?«
    Der Chevalier und mein Vater wechselten einen Blick und ein Lächeln.
    »In der Tat ist dies ein großes Privileg, obwohl es ihnen nur mit der tiefsten Verachtung zugestanden wird. Aber ich möchte wetten, daß die Juden darauf pfeifen und daß sie die Christen auf dem Gebiet im stillen für die größten Dummköpfe der Welt halten.«
    In diesem Moment nun verdüsterte sich plötzlich das Gesicht meines Vaters. »Seht Ihr dort«, sagte er mit veränderter Stimme, »jenes Dorf auf der Höhe zu unserer Rechten? Wie findet Ihr es?«
    »Sehr friedlich in dem schönen Morgenlicht.«
    »Es heißt Chaillot. Und wenn es friedlich aussieht, so weil es nicht weiß oder nicht wissen will, was vor Jahren zu seinen Füßen geschah. Ihr werdet bemerken, mein Sohn, daß die Seine hier einen weiteren Bogen beschreibt. Und weil die Strömung am jenseitigen Ufer schwächer ist, wächst dort hohes Schilf, sogar im Wasser. In diesem hohen Schilf sind einst Tausende ermordeter Hugenotten gestrandet. Man hatte sie in Paris niedergemetzelt und in die Seine geworfen, und sie trieben mit der Strömung bis hierhin. Das geschah in der Bartholomäusnacht, und als der Papst die grausige Nachricht erfuhr, ließ er auf den Plätzen Roms Freudenfeuer entzünden. Seht jenes Schilf. Dort lagen Hunderte und aber Hunderte von Leichen.«
    Ich starrte ihn an. Tränen rollten über seine Wangen.
    »Mein Sohn«, sagte er, »behaltet Chaillot im Gedächtnis. Und das hohe Schilf von Chaillot. Und merkt Euch auch, daß man gewißlich Gott lieben soll, aber niemals so, daß man dafür die Menschen haßt.«
    Hiermit wandte er mir den Rücken und begab sich zu Monsieur de Bassompierre unter das Zelt. Monsieur de La Surie folgte ihm auf dem Fuße. Und ich ging ihnen kurze Zeit später nach, so traurig und niedergedrückt fühlte ich mich. Indessen saß ich noch kaum eine Minute am Platz, als eine der hübschen Nichten mir ihren Busen zuneigte, den ihr Dekolleté weit über die Hälfte entblößte (und dazu, was noch aufregender war, eine allerliebste kleine Spalte zwischen den Zwillingsbällchen).
    »Monsieur«, sagte sie mit einem bezauberndem Lächeln, »wollt Ihr nicht ein wenig von meinem Marzipan?«
    Auf der Stelle vergaß ich Chaillot, so hingerissen war ich von diesem Blick und diesem Lächeln. In meiner Einfalt glaubte ich, die Schelmin böte sich mir damit an. Ich nahm das Marzipan, ohne einen Dank zu stammeln. Mein Herz klopfte. Ich fand keine Stimme mehr. Ich fühlte, wie ich erblaßte. Gott, war ich unbelehrt! Ich wußte damals noch nicht, daß alle Frauen solche Blicke und solches Lächeln ständig als Köder auswerfen, um sich durch die Aufmerksamkeit, die sie soerhaschen, in der nie genug bekräftigten Wonne zu wiegen, daß sie schön sind und gefallen.
    Als ich jedoch beobachtete, daß die kokette Person dem Chevalier, meinem Vater und sogar dem riesigen Steuermann die gleichen Avancen machte, indem sie jenem eine Erfrischung anbot, die er mit einem Brummen ablehnte, ohne ihr auch nur den kleinsten Blick zuzuwerfen, schloß ich, daß sie sogar einen Bären mit diesem Schmeichlerblick und diesem Lächeln beschenken würde, wenn sie hoffen könnte, damit in seinem unmenschlichen Auge einen Schein von Bewunderung zu erzeugen. Ich war auf der Stelle entzaubert und sagte es La Surie mit leiser Stimme.
    »I was«, sagte er, »macht Euch nichts daraus! Auch bei Männern gibt es Blicke und Lächeln, die falsche Münze sind. Man muß lernen, echt von falsch zu unterscheiden.«
    Ich hatte das Marzipan der koketten Person kaum, wenn auch widerwillig, verzehrt, als ein deutsches Kommando erscholl. Und schon hörte man die Ruderkellen mit äußerster Kraft arbeiten. Da ich Bassompierre, meinen Vater und den Chevalier sogleich zum Bug eilen sah, ließ ich die Verräterin sitzen und lief ihnen nach. Und nun begriff ich, daß unsere Ruderer das Wasser so stark und so schnell gegen die Strömung schlugen, um unsere Fahrt zu bremsen und einen Zusammenstoß mit der Fähre von Neuilly zu vermeiden, die soeben den Strom in Richtung des Dörfchens Puteaux überquerte.
    »Das ist die Fähre«, sagte Bassompierre, »auf der für gewöhnlich die

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